Hannahs Entscheidung
jetzt auch noch im Stich. Er springt nicht mehr an und wurde deshalb zu Joe’s Werkstatt geschleppt .«
Tayanita forschte in ihrem Gesicht. Dann erhob sie sich. »Ruhen Sie sich erst einmal aus. Genießen Sie Ihr Essen. Wenn Sie etwas brauchen, lassen Sie es mich wissen.« Im Weggehen berührte sie flüchtig Hannahs Schulter.
Hannah blickte ihr hinterher. Wenn sie nicht grundsätzlich ein Problem damit hätte, sich Fremden gegenüber vorbehaltlos zu öffnen, hätte sie dieser Frau bestimmt ihr Herz ausgeschüttet. Die Indianerin besaß etwas Vertrauenerweckendes. Hannah fühlte sich in ihrer Gegenwart wohl. Während sie ihren Eintopf löffelte und am Kaffee nippte, genoss sie es, dem beruhigenden Klappern von Geschirr, das aus der Küche drang, zuzuhören. Langsam fiel etwas von der Anspannung der letzten Stunden von ihr ab.
6. Kapitel
S am setzte leise fluchend den Blinker, um auf die Interstate sechsundzwanzig nach Osten zu wechseln. Wenn er ein wenig aufs Gaspedal drückte, würde er bald in Spartanburg sein. Wenn auch mit zweistündiger Verspätung. Er hoffte, dass sein Geschäftspartner Verständnis hatte. Sam würde sich mächtig ärgern, wenn der Termin platzen sollte, oder Dan ihm den Hengst letzten Endes doch nicht verkaufte. Solch ein reinrassiges Tier mit edlem Stammbaum eignete sich hervorragend für seine Zucht.
Sams Gedanken schweiften ab zu der dunkelhaarigen jungen Frau, die ihm sein Heck ruiniert und die er aufgrund ihres burschikosen Äußeren zunächst für einen Kerl gehalten hatte. Wie konnte man sich als Frau derart verunstalten? Seine Mundwinkel verzogen sich nach unten. Das Haar trug sie kurz geschnitten und ohne jegliche Raffinesse frisiert, ihre weiblichen Kurven unter einem weiten karierten Hemd versteckt. Erst ein Blick in ihre seegrünen Augen, die von langen dichten Wimpern gesäumt waren, und einen zweiten auf ihren etwas zu breit geratenen, aber durchaus schön geschwungenen Mund, hatten keinen Zweifel daran gelassen, dass er es hier nicht mit einem Mann, sondern einer Frau zu tun hatte. Einer ziemlich störrischen wohlgemerkt. Sam war sich dessen bewusst, dass er sich ihr gegenüber nicht von seiner besten Seite präsentiert hatte. Aber diese Dame hatte ihn mit ihrer kratzbürstigen Art derart gereizt, dass er darauf nicht anders zu reagieren gewusst hatte als mit kühler Ironie.
Sein Handy klingelte. Es war Gloria Turner. Willow Creeks derzeit ambitionierteste und deshalb auch erfolgreichste Maklerin. Sie hatte Maggie und ihm Green Acres vermittelt und eine deftige Provision dafür kassiert. Eine clevere Geschäftsfrau und dazu ohne Zweifel ein Hingucker. Genau der Typ, auf den die Männer flogen. Platinblond und schlank, mit einem gewinnenden Zahnpastalächeln und einem Körper zum Niederknien gesegnet. Maggie hatte sie nie leiden können, obwohl Gloria immer wieder versucht hatte, sich ihr freundschaftlich zu nähern. Hinter all dem Geglitzer und freundlichem Getue verbirgt sich eine Schlange, Sam, hatte sie immer wieder betont. Ich traue ihr nicht. Sam hatte gelacht und seine Frau damit geneckt, dass sie nur eifersüchtig sei. Auch wenn er Gloria durchaus attraktiv fand – er war schließlich nicht blind –, so hätte er jederzeit Maggies stillen Liebreiz der auffälligen Schönheit Gloria Turners vorgezogen. Sie war Verlockung und Sünde auf zwei endlos langen, ansehnlichen Beinen. Mancher Zeitgenosse hielt Gloria für oberflächlich. Sam ahnte jedoch, dass sich hinter dem spektakulären Äußeren eine verletzliche Seele verbarg.
»Sam, ich hörte von dem Zwischenfall auf der Main Street.« Glorias gurrende Stimme riss ihn aus seinen Betrachtungen. »Ist dir etwas geschehen?« Besorgnis schwang in ihren Worten mit.
Woher sie das nun wieder erfahren hatte? Sam klemmte sich sein Telefon zwischen Kinn und Schulter und stellte die Scheibenwischer ab, die quietschend über das inzwischen trockene Glas der Windschutzscheibe schrammten. Zum Glück hatte sich das Gewitter verzogen und der Regen aufgehört. »Natürlich ist mit mir alles okay«, erwiderte er eine Spur zu barsch. Manchmal ging es ihm fürchterlich auf die Nerven, wie rasend schnell sich Neuigkeiten in dem kleinen Städtchen verbreiteten. Mitunter kam es ihm vor, als würde er sein Leben hinter einer verdammten Glasscheibe verbringen.
»Oh. Dann bitte ich vielmals um Entschuldigung.« Glorias Stimme kühlte merklich ab. »Ich war lediglich besorgt.«
Postwendend beschlich Sam das schlechte
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