Hannahs Entscheidung
Gewissen. »Nett von dir«, lenkte er ein. »Ich weiß es zu schätzen. Aber es ist nichts weiter passiert. Nur ein harmloser Blechschaden.«
»Ah. Dann hatte Violet recht.«
Violet also. Das hätte er sich denken können. Es gab nichts, was Violet Hunters scharfer Beobachtungsgabe entging. Sie sah und hörte einfach alles. Wer sich nach dem neuesten Klatsch und Tratsch sehnte, war in Violet‘s Krämerladen auf der Main Street bestens aufgehoben. Besonders hilfreich war natürlich die Tatsache, dass Violet durch das große Schaufenster ihres Ladens den perfekten Überblick behielt.
»Ich dachte, ich frage trotzdem nach«, fuhr Gloria fort. »Nur um sicherzugehen.«
»Danke. Du kannst jedoch völlig beruhigt sein. Mir wurde kein Haar gekrümmt. Und die Unfallverursacherin ist ebenfalls unverletzt. Es geht ihr gut.« Obwohl er sich nicht sicher war, was ihren Geisteszustand betraf, dachte Sam in einem Anflug von Zynismus. Er warf einen raschen Blick auf seine Rolex. »Hör zu, Gloria, ich habe es eilig. Wir sprechen ein anderes Mal, in Ordnung?«
»Natürlich, mein Lieber. Übermorgen auf einen Kaffee im Cottage Garden ?«
»Ich will’s versuchen .« Sam passierte die Brücke, an der die Interstate den Asheville Highway kreuzte. Ausfahrt Inman. Noch rund zwanzig Minuten.
»Wunderbar.« Gloria klang höchst zufrieden. »Ich sehe dich dann.«
Er klappte das Handy zusammen und ließ es zurück in die Jackentasche gleiten, unsicher, ob er sich über Glorias Anteilnahme freuen oder ärgern sollte. Sie war aufmerksam und liebevoll, immer um sein Wohl bedacht. Oft tauchte sie überraschend mit einem selbst gebackenen Kuchen oder einem Auflauf vor seiner Tür auf, die er meistens heimlich entsorgte, denn sie war definitiv nicht die begnadetste Köchin. Regelmäßig rief sie an, um zu hören, was er so machte. Gelegentlich überredete sie ihn auf ein Schwätzchen und einen Kaffee im Cottage Garden , was er zu seinem eigenen Erstaunen genoss. Ihm war klar, dass sich Gloria Turner mehr von ihm erhoffte als hin und wieder ein nettes Gespräch bei einer Tasse Kaffee. Er mochte sie, ja. Sie war eine schöne, interessante Frau, eine kluge, amüsante Gesprächspartnerin. Zuweilen gelang es ihr sogar, ihn auf andere Gedanken zu bringen. Vielleicht hatte sie in der Wahl ihrer Kleidung nicht immer ein glückliches Händchen – in Sams Augen dürfte es ruhig dezenter sein – aber darüber könnte er hinwegsehen. Mit Gloria an seiner Seite würde es sicherlich nie langweilig werden. Der alte Sam Parker wäre einem kleinen vergnüglichen Abenteuer nicht abgeneigt gewesen. Er war früher beileibe kein Kostverächter. Doch das war, bevor Maggie Cavendish in sein Leben trat. Er wurde das Gefühl nicht los, dass sie ihn für alle anderen Frauen verdorben hatte. Maggie hätte entsetzt die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, wüsste sie vom freundschaftlichen Umgang ihres Mannes mit Gloria Turner. Eine Beziehung mit Gloria wäre Sam wie ein Verrat an seiner toten Frau vorgekommen. Vielleicht war er aber einfach noch nicht bereit, sich auf jemanden einzulassen. Vielleicht würde er nie wieder dazu bereit sein. Vielleicht, dachte Sam grimmig, hatte er es nicht verdient, jemals wieder glücklich zu sein. Die Muskeln in seinem Kiefer arbeiteten, während er einen Gang herunterschaltete, um den dahinkriechenden U-Haul Van zu überholen, der ihn schon seit geraumer Zeit gehörig nervte.
*
»Hat es Ihnen geschmeckt? Kann ich Ihnen noch etwas bringen?« Tayanita blickte Hannah erwartungsvoll an.
»Es war ausgezeichnet, aber ich bin wirklich satt.«
»Schön. Das freut mich.« Tayanita schob das Tablett, das sie unter einen Arm geklemmt hielt, auf den Tisch und begann das Geschirr abzuräumen. »Was haben Sie jetzt vor?«
Leise seufzend zuckte Hannah mit den Achseln. »Am liebsten würde ich sofort weiter. In der Werkstatt sagte man mir aber, dass es ein, zwei Tage dauern könnte, bis die Ersatzteile für die Reparatur meines Wagens eintreffen .« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es so schwierig sein soll, die passenden Teile zu beschaffen.«
Tayanitas Lippen verzogen sich zu einem Schmunzeln. »Tja, die Uhren ticken hier langsamer. Da braucht man mitunter ein wenig Geduld.«
Hatte sie etwas in der Art nicht schon aus einem anderen Mund gehört? Hannah faltete ihre Serviette zusammen. »Sagen Sie, Tayanita, gibt es im Ort ein Motel oder eine kleine Pension, die Sie mir empfehlen
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