Hannahs Entscheidung
leicht im Kopf, die Knie drohten nachzugeben. Ihr Magen, der seit Stunden keine feste Mahlzeit bekommen hatte, gab nochmals ein unüberhörbares Knurren von sich. »Ich würde gern etwas essen.« Schwankte sie oder bildete sie sich das nur ein?
Tayanita hakte sie rasch unter. »Natürlich. Lassen Sie uns hinüber ins Café gehen. Kommen Sie.« Sie lotste Hannah aus dem Laden durch den Flur und einen Rundbogen hinüber ins Café, das durch den Wintergarten erweitert wurde.
Ein junger Mann mit Cowboyhut unterzog Hannah im Vorbeigehen einer eingehenden Musterung. Sie war froh, dass Tayanita sie zu einem entfernten Fenstertisch brachte. Auf neugierige Blicke konnte sie im Augenblick gut und gern verzichten.
»Bitte setzen Sie sich, Hannah.« Tayanita stützte sich auf einer Stuhllehne ab. »Wie wäre es mit einem schönen, feurigen Eintopf? Ich habe einen Bohnen-Maistopf mit Hackfleisch im Crockpot schmoren.«
»Gern«, sagte Hannah. Ein warmer Eintopf schien ihr in diesem Moment der Himmel auf Erden zu sein. »Und eine Tasse Kaffee bitte, mit Milch und Zucker.«
Wenig später kehrte Tayanita mit einem Tablett und einem warmen Lächeln an ihren Tisch zurück. »So, hier kommt etwas, um Leib und Seele zu wärmen.« Die Suppe dampfte und duftete köstlich. Ebenso der Kaffee. »Lassen Sie es sich schmecken. Bestimmt werden Sie sich gleich besser fühlen.«
»Dankeschön.« Hannah konnte es kaum erwarten, ein Stück von dem kross gebackenen, noch ofenwarmen Brot, das Tayanita dazugelegt hatte, in den Eintopf zu tunken. »Es riecht einfach wunderbar.« Sie bemerkte, wie Tayanita zögerte.
»Darf ich mich einen Augenblick zu Ihnen setzen, Miss Mulligan?«
»Bitte.« Mit einem Nicken lud sie Tayanita ein. Sie hätte lieber allein gegessen, aber die Frau war so freundlich, dass sie es nicht übers Herz brachte, ihr diese Bitte abzuschlagen. »Nennen Sie mich Hannah«, bat sie, während sie den Löffel in die Suppe tauchte. Früher oder später würde sie sowieso wieder ihren Mädchennamen McBride annehmen. Spätestens, wenn sie und Shane geschieden waren.
Tayanita musterte sie freundlich. »Wo kommen Sie her, Hannah?«
»Ohio.« Der Eintopf war ein Gedicht. Hannah wünschte, sie könnte solche leckeren Gerichte zaubern. Kochen zählte nicht gerade zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. Viel lieber versorgte sie blutende Platzwunden oder legte Infusionen …
»Ein langer Weg.«
»Hm.« Langsam fühlte Hannah ihre Lebensgeister zurückkehren.
»Ich hoffe, Sie halten mich nicht für unerträglich neugierig.« Tayanita schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln. »Sie interessieren mich, Hannah. Was hat Sie nach Willow Creek verschlagen?«
Hannah griff nach ihrer Serviette, um sich die Mundwinkel abzutupfen. Sie lachte leise, aber es war ein freudloses Lachen. »Ich bin eher unfreiwillig hier.« Sie hoffte, dass es nicht unhöflich klang. »Eigentlich bin ich auf dem Weg nach Charlotte. Ich brauchte dringend eine Pause und habe mich auf die Suche nach einem Café gemacht.«
»Und da sind Sie hier gelandet? Da haben Sie sich aber mächtig verfahren.«
Hannah brach ein Stück von dem knusprigen Baguette ab, zupfte an dem luftigen Teig und seufzte. »Zu allem Überfluss bin ich auch noch in einen Unfall verwickelt worden. Ich muss wohl geträumt haben.«
»Wo ist das passiert? Auf der Main Street um die Ecke?«
Hannah nickte abwesend, während sie das Brot weiter zerpflückte. Sie dachte an den arroganten Mann mit den verwirrenden grauen Augen.
»Dann sind Sie das also gewesen. Sind Sie in Ordnung? Und dem Besitzer des anderen Wagens – ihm ist nichts passiert?«
Hannah hob den Kopf. Irgendetwas in der Stimme der anderen Frau – ein winziger Anflug von Sorge oder Aufregung – irritierte sie. »Es geht mir gut«, erwiderte sie. »Und dem anderen Fahrer ebenfalls. Es ist zum Glück nur ein Blechschaden entstanden.« Der allerdings ihren Wagen außer Gefecht gesetzt hatte. Mit einem Mal fühlte sie sich elend. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Rasch senkte sie die Lider.
»Sind Sie sicher, dass es Ihnen an nichts fehlt? Wir haben hier in der Stadt einen sehr netten Arzt, Doc Bailey. Vielleicht sollten Sie sich untersuchen lassen.«
»Das ist wirklich nicht nötig. Ich hatte nur einen schweren Tag«, entgegnete Hannah leise. Einen schrecklichen, furchtbaren Tag, den sie ihr Leben lang wohl nicht mehr vergessen würde. Sie versuchte ein Lächeln, was ziemlich misslang. »Dummerweise lässt mein Wagen mich
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