Hannahs Entscheidung
ihren Korb sinken ließ.
»Unmögliches Tier. Du kannst das Mausen einfach nicht sein lassen, nicht wahr?« Tayanita blickte ihrer Gefährtin hinterher und konnte doch ein Lächeln nicht verbergen. Sie liebte Tsali, das war nicht zu leugnen, auch wenn der Hund, eine Mischung aus Labrador und Rhodesian Ridgeback, immer wieder versuchte, ihr das Essen streitig zu machen. Was nicht weiter verwunderlich war, überlegte Tayanita, während sie die andere Hälfte, die von ihrem Pancake übrig geblieben war, dick mit Ahornsirup bestrich. Sie hatte Tsali, die sie nach dem berühmten Helden der Cherokees benannt hatte, vor drei Jahren am Straßenrand aufgelesen. Das magere Tier kauerte im Schmutz zwischen leeren Getränkeflaschen und Abfall, sein Fell vollkommen verfilzt. Am rechten Hinterlauf klaffte eine hässliche Wunde. Henry Mason, der Tierarzt, zu dem Tayanita den Welpen sofort brachte, vermutete, dass er misshandelt und ausgesetzt worden war. Er schien nirgendwo registriert zu sein und verhielt sich Fremden gegenüber äußerst misstrauisch.
Tayanita hatte das Tier – Henry schätzte es auf ungefähr zwei, drei Monate – mit zu sich nach Hause genommen und liebevoll aufgepäppelt. Viel Zeit und Geduld erforderte es, ein zartes Band des Vertrauens herzustellen. In den ersten Tagen musste Tayanita dem Winzling Nahrung einflößen, weil er zu schwach war, selbst zu fressen. Später gab es für den kleinen Hund kein Halten mehr, wenn Tayanita seinen Napf füllte. Ruckzuck hatte der Welpe sein Fressen verschlungen und anschließend mit hoffnungsvollen Augen zu ihr aufgesehen. Schließlich konnte man ja nie wissen, wann die nächste Mahlzeit anstand, oder? Tayanita war glücklich, dass heute nichts mehr an das jämmerliche Bündel erinnerte, das Tsali einst gewesen war. Das schwarze Fell glänzte ebenso wie die wachen, klugen Augen. Ihre Haltung war stolz, und Tayanita könnte schwören, dass es Momente gab, in denen Tsali lächelte. Die Hündin hing mit einer tiefen Liebe an ihr, folgte ihr wie ein Schatten. Tayanita legte Messer und Gabel beiseite und wischte sich mit der Papierserviette über den Mund, bevor sie ihren Kaffeebecher leerte. Ein Blick auf ihre zierliche Lederarmbanduhr sagte ihr, dass ihre Pause vorbei war. Sie stand auf und fing an, das Geschirr zusammenzustellen.
»Lass nur, ich mach das schon.« Sylvia schob ein Tablett auf den Tisch. »Mir ist soeben Tsali mit scheelem Blick und verdächtig mit Sirup verschmierter Schnauze begegnet. Ich nehme an, sie weiß meine Pancakes ebenfalls zu schätzen?«
»Du kennst sie doch«, erwiderte Tayanita mit einem Schmunzeln, wobei sie ihre langen Haare hinter die Ohren strich. »Unsere Tsali ist und bleibt ein Fresssack!« Die Frauen tauschten ein Lächeln. »Hast du im Café alles im Griff, Sylvia?«
»Wie immer. Warum?«
»Ich gehe hinüber in den Souvenirladen. Ich möchte gern die Kisten, die wir gestern Abend geliefert bekommen haben, auspacken.«
*
Ebenso schnell, wie er über die kleine Stadt hereingebrochen war, hörte der Platzregen auf. Wie von Geisterhand hatten sich die dunklen Wolken verzogen, das Donnergrollen war längst verstummt. Die drückende Schwüle war einer frischen Brise gewichen. Ein Schild über der Eingangstür eines mit Kletterranken bewachsenen Backsteinhauses zog Hannahs Aufmerksamkeit auf sich: Cottage Garden – Zauberhafte Geschenke und Café .
Das musste das Café sein, von dem Sam Parker gesprochen hatte. Das zweistöckige Haus mit dem Flachdach wirkte einladend. Eingangstür und Fensterläden, in einem dunklen Flaschengrün gestrichen, boten einen schönen Kontrast zu dem hellen Backstein. Ein großzügiger Wintergarten schmiegte sich an die rechte Seite des Gebäudes. Als Hannah die Tür öffnete, erklangen die hellen Töne eines Windspiels. Kaum hatte sie den Flur betreten, schoss ein dunkler Schatten auf sie zu. Erschrocken wich sie zurück, doch da lagen bereits zwei schwere Pfoten auf ihren Schultern. Schwarze glänzende Augen fixierten sie eindringlich. O bitte, flehte Hannah still. Bitte tu mir nichts!
»Tsali«, rief eine Frauenstimme energisch. »Aus!« Sofort ließ das Ungetüm von Hannah ab. »In deinen Korb, kleiner Racker.« Eine mollige Dame in einem fließenden, bunt bedruckten Rock und einer hellen Fransenbluse trat durch einen Glasperlenvorhang aus einem angrenzenden Raum.
Kleiner Racker? Die Frau benötigte definitiv eine Brille, dachte Hannah, während ihre argwöhnischen Blicke zwischen
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