Hannahs Entscheidung
Mordfällen und Überstunden. Zähneknirschend harrte sie aus. Durch kleine raffinierte Gesten und scheinbar zufällige Begegnungen brachte sie sich ihm immer wieder in Erinnerung.
Eines Tages bekam sie zufällig ein Gespräch zwischen Violet und ihrer Busenfreundin Nancy in Violets Laden mit. Nancy, die ihre Nase genau wie Violet überall hineinsteckte, wo sie nicht hingehörte, vertraute ihrer Freundin an, dass Sam seit Neuestem mit einer jungen Frau liiert sei. Irgendeiner Maggie Soundso. Einem entzückenden Geschöpf aus South Carolina, betonte Nancy. Oh, Gloria hatte den darauffolgenden gehässigen Seitenblick in ihre Richtung durchaus bemerkt. Dumme Pute! Offensichtlich habe die junge Dame im Cottage Garden ihren Kaffee über Sam ausgeschüttet und ihm damit völlig den Kopf verdreht, erzählte Nancy weiter. Gloria pfefferte die Packung Erbsen, die sie gerade in der Hand hielt, zurück in die Tiefkühltruhe und stürmte mit hochrotem Kopf aus dem Geschäft. Sie kochte vor Wut. Wie hatte Sam sie so täuschen können? Von wegen Überstunden. Während sie geduldig auf ihn wartete, hatte er sich still und heimlich eine andere angelacht.
Ohne zu zögern, machte sie sich auf den Weg zu ihm. Sie würde ihn zur Rede stellen. Er sollte ihr ins Gesicht sehen und sagen, dass es der Wahrheit entsprach, was Nancy behauptet hatte. Während sie fuhr, beschlichen sie leise Zweifel. Vielleicht hatte Nancy das Ganze nur erfunden. Es war kein Geheimnis, dass Nancy Schmidt Gloria nicht ausstehen konnte, seitdem Gloria ihr einmal bei einer Gemeindeversammlung über den Mund gefahren war. Womöglich hatte sie ihrer Erzfeindin lediglich eins auswischen wollen. Gloria würde dieser Tratschtante so einiges zutrauen. Als sie bei Sam eintraf, wurde das vermeintliche Gerücht jedoch zur schrecklichen Gewissheit. Zu ihrem Entsetzen traf sie dort besagte junge Frau an, die Sam ihr freudestrahlend als Maggie Cavendish vorstellte. In einem bequemen Jogginganzug und Hauspuschen wirkte sie, als wäre sie bereits bei ihm eingezogen. Nancy hatte nicht gelogen. Glorias Herz zog sich krampfhaft zusammen. Was mochte Sam an der unauffälligen Person, die sie aus hellen Augen interessiert musterte, finden? Sie war der Typ nettes Mädchen von nebenan. An ihr war nichts Besonderes. Sie war keine atemberaubende Schönheit. Wie zum Teufel konnte Sam ihr so ein harmloses Püppchen vorziehen?
Sam, der kaum seinen Blick von dieser Maggie wenden konnte, musste etwas in ihr sehen, das Gloria verborgen blieb. Als ein paar Wochen später eine Hochzeitseinladung ins Haus flatterte, zerriss sie das Papier minutiös in tausend kleine Fetzen, während heiße Tränen der Verbitterung über ihre Wangen strömten.
Doch Gloria liebte Männer. Auch wenn sie Sam Parker nicht bekommen konnte, so wollte sie dennoch auf die Herren der Schöpfung nicht verzichten. So ließ sie sich von einer belanglosen Beziehung in die nächste treiben, genoss ihr Leben und kleine, flüchtige Abenteuer.
Nach dem furchtbaren Verbrechen an Maggie witterte Gloria eine neue Chance. Zunächst versuchte sie es auf äußerst subtile und unauffällige Art. Sie brachte Sam selbst gebackene Muffins oder Scones vorbei, ließ mal eine heiße Suppe da oder ein paar Zeitschriften. Sie versuchte erst gar nicht, mit ihm über seine Trauer zu reden, strich ihm lediglich sanft über den Rücken oder drückte seine Schulter im Vorbeigehen. Flüsterte ihm zu, dass sie für ihn da sei, wenn er reden wolle. Sie wollte ihm Zeit lassen, geduldig sein. Bis er in die Falle tappte.
Einmal erschrak sie, als sie Sam durchs Wohnzimmerfenster in den Armen einer schlanken Dunkelhaarigen ertappte. Brennende Eifersucht kochte in ihr hoch, aber nachdem sich die beiden voneinander gelöst hatten, erkannte Gloria, dass es sich bei der schwarzhaarigen Schönheit um Sams Schwester Penelope handelte. Offensichtlich war sie aus Asheville angereist, um ihm zur Seite zu stehen.
Nach etwa einem Jahr der geduldigen Zurückhaltung hatte Gloria das Warten satt. Weil Sam noch immer keine Anstalten machte, sie wahrzunehmen, fing sie an, überall dort aufzutauchen, wo er sich gerade aufhielt. Hinterlistig stieß sie überraschte kleine Ausrufe aus: Was, du auch hier? Wie schön, mein Lieber, wie geht es dir? Nach und nach wurde es ihnen erneut zur Gewohnheit, sich im Cottage Garden auf einen Kaffee zu treffen. Ein paar Mal stattete Gloria Sam auf Green Acres einen Besuch ab – sehr zum Missfallen von Deanna Wilbur, dieser Kuh mit
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