Hannahs Entscheidung
meiner Panik habe ich nach einem Messer gegriffen und ihn verletzt«, redete Hannah weiter, als wäre ein Damm gebrochen. »Ich war so außer mir, hatte solche Angst, dass ich nicht darüber nachdachte, was ich tat. Ich weiß, es klingt furchtbar, ich kann kaum glauben, dass ich so reagiert habe.«
Erneut machte sich beklemmende Stille breit. Hannah presste die Lippen aufeinander. Das, was sie erlebt hatte, schien dem Skript einer schwülstigen Daily Soap zu entstammen. Es klang unwirklich. Trotzdem war es geschehen. Würde Ellie sie verurteilen, weil sie zum Messer gegriffen hatte? Ihre Großmutter lehnte jegliche Form der Gewalt ab. Hannah wünschte, sie könnte ihr begreiflich machen, wie hilflos sie sich in jenem Moment gefühlt hatte.
»Hast du ihn schwer verletzt?« Als Ellie schließlich sprach, waren Hannahs Nerven zum Zerreißen gespannt.
»Nein. Er ist okay«, erwiderte sie mit bebender Stimme, weil ihre Emotionen sie zu überwältigen drohten. »Nur eine harmlose Fleischwunde.« Sie schniefte leise. »Ich wollte ihm nichts tun.«
Ihre Großmutter stieß einen Laut der Bestürzung aus. »Du armes Kind. Welch ein furchtbarer Albtraum! Kaum zu glauben, was du durchmachen musstest. Ein Grund mehr, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen, Liebes! Mach dich auf den Weg, du kannst doch auch den Bus nehmen. Worauf wartest du noch? Komm nach Fairview und lass dich in die Arme nehmen!«
Als Hannah diese Worte hörte, schlug eine Welle der Erleichterung über ihr zusammen. Ihre Großmutter war nach wie vor bereit, sie mit offenen Armen aufzunehmen. »Nichts würde ich lieber tun.« Hannah presste eine Faust auf ihre Brust, um das wilde Schlagen ihres Herzens zu beruhigen. »Aber ich möchte gern warten, bis das Auto repariert ist. Ich habe keine Lust, noch einmal nach Willow Creek zurückkehren zu müssen, um es abzuholen, Nana. Zudem ist es vielleicht auch besser, wenn ich mich noch ein Weilchen von Fairview fernhalte.«
»Warum denn das?«
»Nun, Shane hat mich wissen lassen, dass er mich unter allen Umständen zurückhaben möchte. Ich schätze, er wird mich suchen. Er vermutete bereits, dass ich bei dir sein könnte.«
»Soll er doch hier auftauchen. Shane Mulligan wird niemals wieder einen Fuß über die Schwelle dieses Hauses setzen.«
»Shane ist unberechenbar, wenn er trinkt. Gefährlich. Ich habe Angst vor ihm.«
»Du lieber Himmel! Das kann ich zwar verstehen, Darling, aber es ist doch unsinnig, sich deswegen in einem Kaff bei fremden Menschen zu verkriechen. Denkst du, wir beide werden mit Shane nicht fertig?«
»Ich möchte dich da nicht hineinziehen, Nana .«
»Unsinn.« Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Das stehen wir gemeinsam durch.«
Hannah knabberte an ihrer Unterlippe, unsicher, wie sie formulieren sollte, was sonst noch auf ihrer Seele lastete. Eigentlich hatte sie es nicht am Telefon sagen wollen, doch sie spürte, dass sie die Wahrheit nicht länger vor ihrer Großmutter geheim halten konnte. »Ich bin schwanger«, gestand sie kaum hörbar.
»Wie bitte?«
»Es ist wahr, Nana. Ich erwarte ein Kind.« Je öfter sie es aussprach, desto realer schien es zu werden. Und umso beklemmender wurde das Gefühl in ihrer Brust.
»Guter Gott. Ich denke, ich muss mich setzen.« Hannah hörte Stuhlbeine über den Boden schrammen.
»Hör zu, Nana. Shane soll nichts davon erfahren. Ich muss darüber nachdenken, ob – wie es weitergehen soll.« Sie brachte es nicht übers Herz, ihrer Großmutter zu beichten, dass sie das Kind möglicherweise nicht behalten würde. Nicht am Telefon.
»Du liebe Güte«, rief Ellie aus, »was für ein Durcheinander!«
»Wir sprechen darüber, wenn ich bei dir bin. Lass uns dann in Ruhe über alles reden.«
»Na gut, Liebes.« Ellie seufzte tief. »Lass es mich wissen, sobald du dich auf den Weg machst. Du kommst doch bald, nicht wahr?«
»Natürlich«, versprach Hannah. »Und dann werden wir beieinandersitzen und uns an deinem wunderbaren Apfelkuchen satt essen.« Einen winzigen Augenblick herrschte Schweigen. »Nana?«
»Ja, Herzchen?«
»Versprich mir, dass du vorsichtig bist. Mach niemandem die Tür auf, ohne vorher gefragt zu haben, wer draußen steht.«
»Jetzt mach dir mal um mich keine Sorgen. Ich bin durchaus in der Lage, auf mich aufzupassen.«
»Bitte. Ich meine es ernst, Nana .« Wenn Shane angetrunken und aggressiv auf ihre Großmutter treffen sollte … Hannah mochte diesen Gedanken nicht vertiefen. »Shane ist nicht zu
Weitere Kostenlose Bücher