Hannahs Entscheidung
wie eine Ohrfeige. Noch immer ruhte sein Blick auf ihr, und sie hatte plötzlich das Gefühl, das cremefarbene Handtuch wäre viel zu winzig. »Wie dem auch sei.« Sein rechter Mundwinkel zuckte. »Ich darf Sie dann wieder Ihrem Schicksal überlassen? Ich habe anderes zu erledigen, als verwöhnten Ladys die Hand zu halten, während diese mit ihren Ängsten kämpfen.«
»Bitte.« Mit einer Hand verkrampft das Tuch über ihrem Busen zusammenhaltend, strich sie sich mit der anderen eine feuchte Strähne von der Stirn. »Es hält Sie niemand auf.« Sie bemühte sich um einen möglichst eisigen Tonfall.
Sam tippte mit zwei Fingern an eine imaginäre Hutkrempe. »Ma’am.«
Hannah machte drei Kreuze, als die Wohnungstür ins Schloss fiel. Eine Weile lauschte sie Sams hinunterpolternden Schritten auf der Treppe. Dieser grässliche Mensch! Vor Entrüstung und Aufregung zitternd schlüpfte sie im Schlafzimmer in eine bequeme Jeans, ein helles T-Shirt und ein weites, kariertes Hemd. Was machte er überhaupt zu dieser Zeit im Cottage Garden ? Hatte Tayanita nicht gestern erwähnt, dass das Café donnerstags erst um neun Uhr dreißig öffnete? Natürlich war es ihr Glück gewesen, dass Sam aufgetaucht war, aber sie ärgerte sich dennoch. Weil es ihr nicht gelingen wollte, ihm gelassen zu begegnen. Warum konnte sie kein vernünftiges Wort mit ihm wechseln, ohne dass er sie auf die Palme brachte?
»Es tut mir leid. Ich weiß, ihr seid befreundet.« Hannah folgte Tayanita in die Küche. »Auch wenn er mir gerade einen großen Gefallen getan hat – aber dieser Sam Parker macht mich wahnsinnig. Wieso war er eigentlich hier? Ich dachte, ihr macht das Café heute später auf?«
»Sam ist ein Freund des Hauses. Deshalb ist es ihm gestattet, vorbeizukommen, wann immer es ihm beliebt.« Tayanita stellte den Teekessel auf den Herd zurück. Sie bückte sich, um im Schrank nach einer Backform zu suchen. »Es war doch sehr nett von ihm, dir zu Hilfe zu eilen«, murmelte sie in den Schrank hinein. Sie drehte sich halb um, drückte Hannah eine glasierte Schale in die Hand und richtete sich auf. »Als wir deinen Schrei hörten, zögerte er keine Sekunde. Ich öffnete gerade den Mund, um etwas zu sagen, da stürmte er bereits die Stufen zur Wohnung hinauf.« Aus dem Kühlschrank zauberte sie einen gigantischen Milchbehälter nebst drei Eiern hervor. »Reichst du mir bitte die Glasschüssel aus dem Regal? Nein, die größere, genau. Danke.« Sie nahm die Schüssel entgegen und fing dabei Hannahs Blick auf. »Ist etwas geschehen? Zwischen dir und Sam?«
Hannah fuhr sich durchs Haar. »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist nur – er ist nicht gerade ein Ausbund an Höflichkeit. Wir geraten ständig aneinander. Ich bin mir unsicher, wie ich ihm begegnen soll.«
Tayanita schlug eines der Eier an der Schüsselkante auf. Geübt fing sie mit beiden Eierschalenhälften das durchsichtige Eiweiß auf, während sie das satte, sonnige Gelb in die Schüssel gleiten ließ. »Vielleicht ist es ein bisschen viel verlangt, Hannah. Aber sei nachsichtig mit Sam. Er ist kein übler Kerl.« Sie griff nach den restlichen Eiern, schlug eins nach dem anderen in die Schüssel.
»Das weiß er jedenfalls gut zu verbergen.« Stirnrunzelnd sah Hannah zu, wie Tayanita Milch in einen Messbecher füllte.
»Ich gebe zu, Sam kommt hin und wieder ein bisschen ruppig herüber.« Tayanita gab die abgemessene Milch zu den Eiern.
»Allerdings.« Ein bisschen ruppig war die Untertreibung des Monats.
»Gib’ ihm eine Chance.«
Während Tayanita eine Packung Mehl öffnete, hoffte Hannah, dass es nicht nötig sein würde, diesem Mann eine Chance zu geben. Wenn sie großes Glück hatte, würde sie Sam Parker nicht mehr über den Weg laufen, bis die Werkstatt den erlösenden Anruf tätigte. Tief in ihrem Inneren jedoch ahnte sie, dass ihre Hoffnung vergebens war. Schließlich hatte Tayanita erwähnt, dass Sam jeden Tag ins Cottage Garden kam, um seinen Kaffee zu trinken.
Tayanita fischte einen Rührlöffel aus einer Schublade, um die Zutaten in der Schüssel zu vermengen. Mit dem Kinn deutete sie auf die rotbackigen Äpfel, die neben der Spüle lagerten. »Magst du die schneiden? Bitte in feine Scheibchen.«
»Sicher.« Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch zog Hannah ein Obstmesser aus dem Messerblock. Jedes Mal, wenn sie ein scharfes Messer sah, lief ein Schauder über ihren Rücken. Erinnerungen stiegen hoch. Wie das hellrote Blut aus Shanes Daumen geschossen
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