Hannahs Entscheidung
war, wie es auf dem blitzenden Metall der Klinge im Sonnenlicht geglitzert hatte. Unwillkürlich zog sie die Schultern zusammen.
»Bist du okay?« Tayanita hatte sie beobachtet.
Hannah versuchte, die beklemmenden Gedanken abzuschütteln. Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Na klar.« Sie konnte sich nicht ewig vor Messern fürchten. Beherzt schnappte sie sich eines der gegen die Kacheln lehnenden Schneidbretter, legte einen Apfel darauf und setzte das Messer an. Würde sie den schrecklichen Streit je vergessen können? Es tat ihr furchtbar leid, Shane verletzt zu haben. Sie hatte das nicht beabsichtigt. Aber in jenem Moment konnte sie vor Angst und Panik nicht mehr klar denken. Sie, die sonst immer wohlüberlegt handelte, hatte die Kontrolle verloren. Mühelos glitt das scharfe Messer durch das saftige Fruchtfleisch.
»Guten Morgen!« Hannah zuckte zusammen, als Sylvia ihren blonden Pagenkopf durch die Tür steckte. »Wenn ihr zwei mit eurem Frauenkränzchen fertig seid, würde ich mich gern in der Küche nützlich machen.«
»Dir auch einen wunderschönen guten Morgen, Sylvia«, erwiderte Tayanita freundlich.
»Ah, ich sehe, ihr habt bereits angefangen«, brummte Sylvia, während sie näher trat und Hannah über die Schulter spähte. »Apple Pie?«
»Möchtest du übernehmen?« Tayanita hielt ihr Schüssel und Rührlöffel entgegen.
Sylvia band sich mit flinken Fingern eine Schürze um die Taille. »Lasst mich mal machen«, forderte sie.
»Setzen wir uns rüber ins Café und trinken eine Tasse Kaffee«, schlug Tayanita Hannah augenzwinkernd vor.
Erleichtert ließ Hannah das Messer sinken. Abgesehen davon, dass es wie ein heißes Eisen in ihrer Hand glühte, waren Kochen und Backen noch nie ihr Ding gewesen. Viel lieber, als in der Küche zu stehen, hatte sie mit Menschen zu tun. Es machte ihr tatsächlich mehr Freude, zu bedienen. Außer es handelte sich um Gäste wie Sam Parker oder Gloria Turner.
»Lasst euch nicht aufhalten.« Sylvia, die schon eifrig das Schnippeln übernommen hatte, scheuchte sie wie Hühner hinaus. »Geht.«
»Sylvia ist die Küchenchefin«, raunte Tayanita Hannah zu, während sie fluchtartig den Raum verließen. »Sie hat schreckliche Angst, dass ich ihr Allerheiligstes durcheinanderbringe.«
»Das habe ich gehört!« Sylvia hob drohend das Messer, aber Tayanita lachte nur.
Im Café warf Tayanita Hannah einen fragenden Blick zu, während sie zwei Becher vom Regal nahm. »Möchtest du vielleicht lieber Tee? Wegen des …«
Hannah machte eine wegwerfende Handbewegung. »Nein, danke. Kaffee ist prima.«
»Hast du überhaupt schon gefrühstückt?« Tayanita füllte die Tassen und reichte eine an Hannah weiter.
»Keinen Hunger.«
»Du musst essen, Hannah.« Tayanita hob den Glasdeckel von der Gebäckschale und reichte ihr einen Muffin mit dunkelbraunen, feucht schimmernden Schokoladenstückchen. »Hier. Genieße ihn.«
Sonnenstrahlen fielen als filigrane, goldene Stäbe durch die Spalten der Jalousie und tauchten den Raum in ein warmes Licht. Hannah drängte jeglichen Gedanken an die unerfreuliche Episode in ihrem Badezimmer beiseite und konzentrierte sich stattdessen auf den herrlichen Duft nach frisch gebrühtem Kaffee, Schokolade, Kuchenteig und süßen Äpfeln. Langsam fing sie an, sich zu entspannen.
»Ich möchte dir etwas über Sam erzählen.« Tayanita fegte ein paar Krümel vom Tisch.
Hannah wollte gerade ihren Muffin probieren. Jetzt verspürte sie doch Appetit. »Wieso?«
»Vielleicht gelingt es dir dann, ihn in einem etwas anderen Licht zu sehen.« Tayanita tätigte den unvermeidlichen Griff nach der Zuckerdose. Hannah beobachtete, wie ihre Freundin gedankenverloren das süße Zeug in ihr Getränk löffelte, und fragte sich, warum Tayanita ausgerechnet mit ihr über Sam Parker sprechen wollte. Warum war es ihr wichtig, was Hannah über ihn dachte? Sobald sie Willow Creek verlassen hatte, würde sie ihn niemals wiedersehen. Eine Tatsache, für die sie überaus dankbar war.
»Vor vier Jahren wurde Sams Frau ermordet.« Tayanitas Worte hallten durch den Raum.
Hannah legte den Muffin auf den Teller zurück. Ein eisiges Kribbeln arbeitete sich von ihrem Steißbein bis in die Haarwurzeln. »Was sagst du?«
»Ich will nicht ins Detail gehen. Es war furchtbar. Für mich, für uns, für alle, die Maggie Parker kannten und mochten.« Tayanita starrte hinüber zur Küche, wo Sylvia lautstark mit Geschirr hantierte. Als sie ihren Blick erneut auf Hannah richtete,
Weitere Kostenlose Bücher