Hannas Entscheidung
zerschmolz, entfaltete es seinen vollen Geschmack, die Schokolade leicht bitter, die Vanille süß und zart. Hanna stand auf, schulterte ihren Rucksack und nahm die Turnschuhe in die Hand. Er folgte ihr zu dem Brunnen am Fuß der Treppen, in dem sie sich die klebrigen Hände wusch. Bevor er dasselbe machen konnte, traf ihn ein Schwall Wasser. Er starrte sie überrascht an.
»Hm, geweihtes Wasser scheint dich auch nicht zu vertreiben.«
Er musste grinsen. Sie besaß eine seltsame Art von Humor. »Das ist kein geweihtes Wasser, sondern dreckiges Brunnenwasser.«
Sie zog die Augenbrauen hoch. »Stimmt, du hast recht, ich vergaß. Dann kann es natürlich nicht funktionieren.«
Ein zweiter Schwall Wasser traf ihn. Er schüttelte die Feuchtigkeit aus seinen Haaren, leicht verärgert. »Hanna, du bist albern.«
»Ich heiße Sabine«, erklärte sie ruhig, setzte sich auf den Boden und zog ihre Turnschuhe an.
Er folgte ihr durch die Gasse. Ihre Schritte waren zügig, und es fiel ihm schwer, ihr Tempo zu halten. Er war nicht den weiten Weg nach Rom geflogen, um sich von ihr abschütteln zu lassen. Er wusste aber auch nicht, wie er es anfangen sollte, mit ihr über das zu reden, weshalb er hier war. Schließlich hatten sie die Pension der Schwestern der Unbefleckten Empfängnis erreicht. Was für ein Name! Ben verzog das Gesicht. Die Unbefleckte Empfängnis – wer konnte an so etwas glauben? Als Hanna den Wunsch geäußert hatte, die Zeit bis zur Verhandlung in einem Kloster zu verbringen, war man beim BKA erst dagegen gewesen. Oberst Hartmann, sein Vorgesetzter, hatte schließlich dafür gesorgt, dass Hanna dieses Zugeständnis erhielt. Eine, wie sich herausstellte, günstige Variante des Personenschutzes für Zeugen. Hanna schien aus ihrem Aufenthalt im Kloster Ruhe und Kraft für die Verhandlungen gewonnen zu haben.
Es hatte Karl Hartmann beeindruckt, mit welcher Klarheit und Präzision ihre Aussage erfolgte. Lediglich ein wenig mehr Emotionalität hätte er sich gewünscht. Die Rechtsanwälte hatten versucht, die Zeugin, die sie nicht sehen konnten, da sie sich in einem Nachbarraum befand, aus dem Gleichgewicht zu bringen. Die Fragen an sie hatten dem Oberst deutlich gemacht, dass zumindest der Anwalt von Lukas Benner sehr wohl wusste, wer die unbekannte Zeugin war. Am Ende fiel die Strafe für Lukas Benner geringer als erhofft aus. Mit sieben Jahren kam der Mistkerl davon. Nach dreieinhalb Jahren bestand für ihn die Möglichkeit, eine Haftentlassung zu beantragen. Rechnete man die Zeit der Haft vor der Verhandlung ab, so blieben zwei Jahre, die Lukas Benner mit Sicherheit würde abbüßen müssen. Eine Schande, dass es kein Auslieferungsabkommen zwischen Nigeria und Deutschland gab, um auch deutsche Staatsangehörige für ihre Verbrechen nach Nigeria auszuliefern. Der einzige Weg, ihn für den Überfall auf das Dorf haftbar zu machen, führte über den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, und dort stapelten sich die Fälle.
Hanna blieb stehen. Sie wandte sich ihm zu, steckte die Hände in die Hosentaschen und zog die Schultern hoch.
»Da wären wir.«
»Ja, da wären wir.« Er nahm seinen Rucksack herunter, öffnete ihn und holte ein Geschenk heraus, ein Päckchen, doppelt so lang wie ein durchschnittliches Buch und auf einer Seite etwas dünner.
Er reichte es ihr. Hanna starrte auf das Päckchen und wich zurück, als wäre darin eine Bombe versteckt, was in gewisser Weise ja auch stimmte. Nein, natürlich keine Bombe, aber etwas, was ihr gleichzeitig Freude machen und wehtun würde.
»Herzlichen Glückwunsch zum einunddreißigsten Geburtstag, Hanna.«
Sie sah ihn an. Ihr Blick bohrte sich in seinen und er bekam das Gefühl, dass sie in die Tiefe seiner Seele blickte, eine Seele die viel Schuld auf sich geladen hatte. Hanna presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, ging einen Schritt vor, nahm sich das Päckchen aus seiner Hand und wandte sich ohne ein Wort des Dankes um. Er blieb, bis sich die Tür hinter ihr schloss.
Allein in ihrem Zimmer atmete Hanna tief ein. Mit zitternden Händen setzte sie sich auf ihr Bett und presste das Päckchen an ihr Herz. Sie hatte keine Ahnung, was es enthielt, aber sie wusste, es steckte eine Absicht dahinter. Nur, welche, das musste sie noch herausfinden. Noch immer hatte sie sich nicht von dem Schock erholt, den Bens plötzliches Auftauchen verursacht hatte. Freute sie sich oder überwog die Angst?
Es klopfte leise an ihrer Tür.
»Sabine?«
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