Hannas Entscheidung
um sich und ließ ihren Tränen freien Lauf. Ich vertraue deiner Entscheidung! »Du verdammtes, herzloses, kaltschnäuziges, berechnendes Arschloch! Du kannst bleiben, wo der Pfeffer wächst!«, fluchte sie in die Stille, schnappte sich ihren Rucksack und machte sich auf den Weg, die Pension über den Notausgang zu verlassen.
6 Entlarvt
D ort, wo der Flur einen Knick machte und zur Treppe in den Frühstücksraum führte, wartete Ben, bis er hörte, wie Hanna die Treppe zum Notausgang herunterlief. Er drückte sich eng an die Wand und schloss die Augen. Seine Wunde tat weh. Langsam löste er seinen Körper von der Wand und ging in sein leeres Zimmer zurück. Sich unter die Dusche zu stellen, wagte er nicht, beließ es bei einer Katzenwäsche. Er packte die restlichen Sachen zusammen, bevor er sein Handy einschaltete. Mehrere Signale zeigten ihm verpasste Anrufe an. Außerdem gab es mehr als zehn SMS von Lisa. »Meld dich!« – »Wo bist du?« – »Hast du einen anderen Flug genommen?« – »Hey, du wolltest dich melden, das war vor vier Stunden!!!!« – »Ben!!!!!!« – »Was ist los?« – »Verdammt!« – »Es reicht« – »Ich bin sauer!« – »Habe Oberst Hartmann angerufen!« – »Rom?« – »Bitte sag mir kurz, wie es dir geht.« Das Telefon vibrierte in seiner Hand. Das Bild seiner Schwester erschien auf dem Display. Er war noch nicht so weit, sich ihren Fragen zu stellen. Aber er wusste auch, dass er keine Wahl hatte.
»Hi, es tut mir leid.«
»Das sollte es auch. Wie geht es dir?«
»Gut.«
»Lügner.«
Er seufzte tief. »Die Wunde tut weh.«
»Das meinte ich nicht. Das kann ich mir später anschauen. Nimm eine Tablette.«
Verdutzt starrte er aus dem Fenster.
»Ben, du verschwindest auf dem Flughafen, ohne mir ein Wort zu gönnen. Ich stand die ganze Zeit vor dem Gate und habe darauf gewartet, dass du rauskommst. Ach verdammt!«
Er presste den Hörer fester an sein Ohr, als könnte er sie so in seine Arme nehmen und trösten.
»Mist, diese blöde Schwangerschaft macht mich zu einer echten Heulsuse, dabei wollte ich dir den Hals umdrehen.«
»Lisa, Lizzy ...«, verwendete er ihren Kosenamen, »... es tut mir ehrlich leid. Ich ...«
»Ich will es nicht wissen und hör auf mich weichzuklopfen. Du kannst dein blaues Wunder erleben, wenn du hier aufkreuzt. Das schwöre ich dir.«
Bei der Vorstellung, wie seine Schwester versuchen wollte, ihm ein blaues Wunder zu verpassen, musste er grinsen. Seine Mutter hatte ihm immer damit gedroht, wenn er ihre Nerven mit seinen Mutproben an den Rand ihrer Belastbarkeit gebracht hatte. Niemals hatte sie die Hand gegen ihn erhoben.
»Also – wie geht es dir? Und diesmal eine ehrliche Antwort!«
»Scheiße.«
»Komm, nach Hause, Ben.«
Er schloss die Augen, spürte das Brennen, schluckte. »Das mache ich, versprochen.«
»Haben Sie mit Ihrer Schwester telefoniert?«
»Ja.«
Ben setzte sich, und die Bedienung brachte ihm unaufgefordert einen Cappuccino, setzte einen Teller mit Obst vor ihm ab, Müsli und Milch.
»Ich habe für Sie bestellt. Das Taxi kommt in zwanzig Minuten.«
»Könnten Sie mir noch Eier, Speck und ein Brötchen bringen?«
»Ma si, naturalmente, no ci sono problemi.«
Die Kellnerin entschwand, nachdem sie ihm einen schüchternen Blick zugeworfen hatte. Ben schätzte, dass es sich bei ihr um die Tochter seiner Pensionswirte handelte. Eine hübsche Italienerin, mit langen schwarzen Locken, einem runden Gesicht, dunkelbraunen Augen und dichten Wimpern. Durchaus einen zweiten Blick wert, wie er an seinem Oberst feststellen konnte, der sonst weiblichen Reizen gegenüber immun zu sein schien. Ertappt konzentrierte sich Hartmann auf das Brötchen auf seinem Teller. »Kommt sie zum Flughafen?«
Sein Vorgesetzter schien es mit der Übergabe seiner Person an seine Schwester ernst zu meinen. »Nein, sie hat Sprechstunde. Ich nehme mir ein Taxi.«
»Nicht nötig. Wir können sie auf dem Weg absetzen.«
»Sie bleiben in Berlin?«
»Ja.«
Ben schüttete sich Milch in sein Müsli, zog sich ein Stück Melone vom Obstteller und schob es sich in den Mund. Ungewöhnlich, dass Oberst Hartmann nach Berlin zitiert wurde, oder war das seine eigene Entscheidung gewesen? »Gibt es etwas das ich wissen muss?«
»Nein. Sie gehen zu Ihrer Schwester. Ihr Job ist es, wieder gesund zu werden.«
»Hat es etwas mit unserem Fall vom letzten Jahr zu tun?«
»Nein.«
»Mit unserem Einsatz?«
»Hören Sie auf, mich auszufragen.«
Die Kellnerin kam
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