Hannas Entscheidung
Erbost stieg sie aus dem Bett, griff sich Hose und Rucksack und schnappte sich ihr Notizbuch aus seinem Schoß.
»Musst du immer in den Sachen von anderen Leuten rumschnüffeln?«, knurrte sie ihn an.
Erst als sie im Bad den Schlüssel umgedreht hatte, gestattete sie es sich zu grinsen. Er war nicht abgehauen! Er war geblieben, hier bei ihr.
Ben hörte, wie die Dusche anging und Hanna anfing, leise etwas zu summen. Langsam erhob er sich, setzte sich auf das Bett, das noch die Wärme von Hannas Körper abstrahlte. Er nahm ihr Kissen, knüllte es vor seiner Brust zusammen und steckte die Nase hinein. Er gönnte sich diesen intimen Moment mit ihr. Es fühlte sich an, als würde er sie selbst in seinen Armen halten. Erst hatte er ihr Notizbuch im Schein seiner Taschenlampe betrachtet. Dann, als es im Zimmer heller geworden war, im Licht der Morgensonne. Seite für Seite hatte er ihre Zeichnungen betrachtet, darunter eine Madonnenfigur, den toten Sohn auf dem Schoß haltend, Engel in verschiedenen Varianten, Kirchen, Brunnen und eine Brücke, die irgendwo in Rom über den Tiber führte. Er fand eine Zeichnung vom Erzengel Michael auf der Engelsburg, wo sie gestern gemeinsam gewesen waren, und zuletzt eine von sich selbst beim Schlafen. Langsam stand er auf und fing an, das Bett zu machen. Routine. Er war hier in einem Hotel, es wäre nicht notwendig gewesen. Er holte seine Tasche, stellte sie auf das gemachte Bett, und begann seine Sachen einzuräumen. Er würde heute abreisen, weiterfliegen zu seinem ursprünglichen Ziel: Lisa in Berlin. Seine Wunde tat immer noch höllisch weh, und er wusste, dass es vernünftiger war, wenn er einen Arzt einen Blick darauf werfen ließ.
Es wäre einfach gewesen, in den frühen Morgenstunden zu verschwinden und Hanna allein im Zimmer zu lassen. Sie wäre mit der Situation klargekommen, so, wie sie mit jeder Situation in ihrem Leben zurechtkam, wenn er an das dachte, was ihr in ihrem Leben passiert war. Doch er wollte sie diesmal nicht verlassen, ohne wenigstens den Versuch einer Erklärung zu machen. Er wollte ihr erklären, dass, wenn es überhaupt einen Menschen auf der Welt gab, für den er Liebe empfinden konnte, sie dieser Mensch war. Nun ja, er musste sich wohl eine andere Formulierung einfallen lassen. Er verfügte nicht gerade über Geschick in solchen Dingen. Bisher hatte er es immer den Frauen überlassen, ihn aus ihrem Leben zu werfen. Ben verstrickte sich nicht gern in irgendwelche Gefühle, die kompliziert werden konnten. Egal, wie offen eine Frau einer Beziehung am Anfang gegenüberstand, irgendwann wollten sie alle mehr. Aber er gehörte nicht zu den Männern für mehr. Er hatte vor langer Zeit seinen Lebensweg gewählt. Niemand hatte ihn dazu gezwungen. Seine Wahl hatte er aus purer Überzeugung getroffen. Hanna hingegen zählte zu den durch und durch komplizierten Frauen. Nichts an ihr war einfach. Selbst beim Sex verkomplizierte sie alles, denn es blieb mit ihr nicht bei dem simplen körperlichen Akt, der für Vergnügen und Entspannung sorgte. Nein, sie verschlang ihn mit Haut und Haar und ...
Er zuckte zusammen, als es an der Tür klopfte. Im Bad trat Stille ein.
»Si?«
»Major Wahlstrom, sind Sie da drinnen?«
Als er Oberst Hartmanns Stimme hörte, fror Ben in seiner Bewegung ein. Das war nicht möglich. Der Oberst war in Nairobi und analysierte gemeinsam mit anderen Einheiten, was genau zum Tod seiner zwei Männer geführt hatte. Halluzinierte er?
»Major Wahlstrom? Sind Sie da drinnen?«
Die Stimme wurde eine Spur ungeduldiger. Es gab keinen Zweifel, vor seiner Tür stand Oberst Hartmann. Hastig sah Ben sich um. Das Bett war gemacht, der Rucksack und Hannas Sachen, einschließlich sie selbst waren im Bad eingeschlossen. Er musste nur zusehen, dass er den Oberst aus seinem Zimmer raushielt, am besten komplett mit ihm aus dem Hotel verschwand, damit Hanna Gelegenheit bekam, sich in Luft aufzulösen. Wenn der Oberst merkte, dass Hanna sich in seinem Zimmer aufhielt ...
Ben rieb sich sein unrasiertes Kinn.
»Schließen Sie die Tür auf.«
Stille.
»Sofort!«
Ben hörte eine ängstliche weibliche Stimme. »No, no, Signore, ich darf nicht Tür von ein Gast aufschließen.«
»Es ist mir egal, was Sie dürfen oder nicht. Entweder Sie tun es sofort oder ich schlage die Tür ein, haben Sie mich verstanden?«
Ben öffnete. »Nicht nötig, Oberst Hartmann.«
Der wütende Oberst wandte sich ihm zu. Ein Zimmermädchen, das mit einem Putzwagen vor der Tür
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