Hannas Entscheidung
zuneigte, sprach die zierliche, blonde Person sie an.
»Ich weiß, es ist vielleicht nicht der beste Zeitpunkt, andererseits könnte es dich ablenken. Ach egal, ich sage es einfach und hoffe du bist nicht sauer. Hast du Lust, dich uns heute Abend anzuschließen? Manchmal hilft es, wenn man nicht allein ist und ständig grübelt.«
»Ja, ich komme gern mit.« Hanna sah erst Überraschung in Sonjas Gesicht, dann zeigte sich ein breites Grinsen. Sie hakte sich bei ihr unter.
»Dir ist klar, dass du mir dann noch beichten musst, weshalb du letztes Mal einen Lachanfall bekommen hast, oder?«
Die Pizza war ausgezeichnet und preiswert. Es war von Vorteil, wenn man von Menschen umgeben war, die sich genauso wenig leisten konnten wie man selbst. Sonja ließ nicht locker, und schließlich erklärte Hanna ihr, weshalb sie damals bei ihrer letzten Einladung hatte lachen müssen.
»Sasa, Soso, M... – Mama.«
Sonja zog ein Flunsch, als die anderen lachten. Hanna boxte ihr freundschaftlich in die Seite.
»Ihr hättet mir einfach sagen können, dass ihr es nicht mögt, wenn ich eure Namen abkürze.«
»Stimmt, ich mag es nicht, wenn du meinen Namen abkürzt«, entschied sich Hanna für die Wahrheit.
»Mir wäre es auch lieber, wenn Sie meinen richtigen Namen verwenden würden, statt Baba«, schloss sich Professor Bartoli an.
»Sabine ist verdammt lang.« Sonja runzelte die Stirn, aber dann verschwanden die Runzeln und ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Weißt du was? Ich nenn‘ dich einfach Bine.«
Die anderen mussten lachen, während Hanna die Augen rollte. Diese Frau war ein hoffnungsloser Fall.
Hanna hockte auf den Stufen des Brunnens auf der Piazza Santa Maria de Trastevere und lauschte den Stimmen von Marco und Sonja. Fasziniert beobachtete sie Marcos Finger, die mit unglaublicher Geschwindigkeit über den Gitarrenhals tanzten. Sonja berührte Marco immer wieder, strich über sein Bein oder lehnte lachend ihren Kopf an seinen Arm. Zwischen ihnen gab es eine neue Vertrautheit, und Hanna wunderte sich nicht, als sich Marco nach einem Lovesong zu Sonja herunterbeugte, um sie unter dem johlenden Geschrei der anderen zu küssen. Statt rot zu werden, lachte Sonja und warf ihren Kopf in den Nacken. So einfach konnte Liebe sein.
»Ich fürchte, ich muss mir einen neuen Doktoranden suchen«, brummte Professor Bartoli neben ihr.
»Wieso sollte Marco seine Arbeit hinwerfen, nur weil er mit Sonja schläft?« Hanna stellte die Frage schärfer, als beabsichtigt.
Der Professor schien amüsiert. »So ist das nun mal mit der Liebe, alles tritt in den Hintergrund, das Herz übernimmt die Führung, und der Verstand setzt aus.«
»Eine überaus poetische Betrachtungsweise, typisch Italienisch.«
Bartoli lachte. »Sie können das nicht nachvollziehen?«
»Nein.«
»Dann waren Sie noch nie aus tiefstem Herzen verliebt, Frau Schmidt.«
Sie schwieg, nippte an ihren Plastikbecher mit rotem Chianti. Nein, sie war nicht verliebt – sie liebte. Sie liebte so sehr, dass es ihr das Herz zerriss.
Sanft legte er eine Hand auf ihren Arm. »Eifersüchtig?«
Sie antwortete nicht.
»Sabine, es gibt für jeden Menschen auf dieser Welt jemanden, den er lieben kann.«
Hanna schnaubte.
»Oh, Sie werden doch nicht etwa auch in Marco verliebt sein?«
»Nein.«
»Zum Glück, denn Eifersuchtsdramen hätten mir jetzt gerade noch gefehlt.«
Hanna wollte lieber das Thema wechseln. Die letzten Tage hatte sie viel nachgegrübelt. Ihr Traum von dem Überfall auf Ben, sein Auftauchen ... Auf einmal kam ihr alles nicht mehr wie ein Zufall vor. Warum saß sie hier auf der Piazza mit Studenten, trank Wein und redete mit einem Kunsthistoriker über Liebe? »Wieso haben Sie mich eigentlich für das Projekt eingeladen, Herr Bartoli? Ich meine – alle anderen haben sich selbst auf die Ausschreibung hin beworben.«
»Vergessen?«, er griff nach seinem Becher, »Ich habe doch Ihre Arbeit über die frühchristliche Kirchenkunst und ihre Symbolik korrigiert, und Sie haben mich damit beeindruckt.« Er lächelte freundlich. »Stand das nicht in meiner Einladung?«
Ja natürlich, es hatte dringestanden. Doch weshalb wollte er sie hier behalten, ihren Aufenthalt in Rom ausdehnen? Hanna betrachtete aufmerksam seine Hand, die den Becher schwenkte, als müsse er damit von sich ablenken. War er nervös? Sie hob das Gesicht und sah ihn an. »Und Ihr Angebot, meinen Aufenthalt zu verlängern?«
»Sie sind ein Genie, wenn es um
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