Hannas Entscheidung
Ich darf gar nicht daran denken, was hätte passieren können. Ist Ihnen überhaupt klar, wie nah Sie dem Tod waren?«
Ben nickte stumm. Niemand wusste das besser als er selbst.
»Also gut. Erledigen Sie, was Sie erledigen müssen. Diese Situation ist bereits peinlich genug. Ich warte unten im Frühstücksraum auf Sie. Der Kaffee im Flugzeug ist die reinste Zumutung. Unser Flug geht in vier Stunden.«
Ben verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich werde nicht nach Nairobi zurückfliegen.«
»Das hat auch niemand gesagt. Ich bringe Sie nach Berlin und werde Sie diesmal höchstpersönlich bei Ihrer Schwester abliefern. Sie macht auf mich den Eindruck einer durchaus zuverlässigen Person, die dafür sorgen wird, dass Sie keine weiteren Dummheiten veranstalten.«
Der Oberst nickte ihm zu und sein Blick wanderte zur Badezimmertür. Er zeigte mit dem Kopf darauf. »Erledigen Sie das.«
Ben atmete ein paar Mal tief ein und aus, nachdem sein Vorgesetzter das Zimmer verlassen hatte. Dann klopfte er an die Badezimmertür. »Alles okay bei dir?« Er wagte es nicht, ihren Namen auszusprechen, weder den richtigen noch ihren neuen. Welcher Gefahr er sie ausgesetzt hatte, wurde ihm erst jetzt richtig bewusst. Mit seinem echten Namen einen Flug nach Rom zu buchen, war absolut unprofessionell gewesen. Viel zu leicht hätte jemand seine Spur verfolgen können, wenn er wusste, dass es eine Verbindung zwischen ihnen beiden gab. Ben konnte nur hoffen, dass niemand danach suchte.
Hanna öffnete die Tür. Diesmal hing der Geruch von Mandeln an ihr – das Duschgel der Pension. Ihre Haare waren feucht, blaue Augen sahen ihn an. Sie trug immer noch sein T-Shirt.
»Wie nah warst du dem Tod?«
Ihm waren noch nie die unterschiedlichen Blautöne in ihrer Iris aufgefallen, die vermutlich der Grund waren, weshalb sie je nach Gemütszustand in verschiedenen Farbschattierungen leuchteten. Er steckte seine Hände in die Hosentaschen. »Er hat übertrieben.«
»Ja, deshalb ist er hier.«
»Für mein Befinden nahe genug.«
»Wenn ich dich frage, was passiert ist, wirst du mir antworten?«
»Nein.«
Sie nickte. »Das dachte ich mir.«
»Hanna ...«
Sie schüttelte den Kopf, und Wassertropfen trafen sein Gesicht. »Sag nichts. Ich bin nicht blöd, Ben.«
»Ich halte dich nicht für blöd.«
»Weshalb bist du wirklich nach Rom gekommen?«
»Weil ich wissen wollte, was du uns verschwiegen hast. Ich dachte, dass es mir helfen würde zu verstehen, was passiert ist ...«, er fuhr sich mit der Hand durch sein Haar, suchte nach Worten, »... worüber ich nichts erzählen kann. Aber ich glaube, es fällt mir nur schwer zu akzeptieren, dass ich einen Fehler gemacht habe.« Er hielt inne, versuchte selber zu verstehen, was er gerade gesagt hatte. Sie stand so dicht vor ihm, dass er ihre Wärme fühlen konnte. Was hatte er sie fragen wollen?
»Ben ...«
»Pst.« Er legte ihr den Finger auf die Lippen. »Sag nichts, was immer dein Geheimnis ist.«
Der Blick aus seinen nebelgrauen Augen fixierte sie forschend. Ein vorsichtiges Lächeln trat auf sein Gesicht. Er nickte.
»Du denkst mit deinem Herzen und handelst danach. Egal was es dich kostet.« Sein Finger strich über ihre Lippe. »Ich vertraue deiner Entscheidung.« Langsam senkte er den Kopf, gab ihr Zeit, vor ihm zurückzuweichen.
Sie blieb stehen, atmete zitternd ein, schloss die Augen.
Er konnte nicht anders, er brauchte diesen endgültigen, letzten Kuss.
Seine Lippen legten sich auf ihre. Hanna öffnete den Mund, tauchte ein in seine Wärme. Da war er wieder, dieser fiese Magnetismus. Ihr verräterischer Körper entzog sich ihrer Kontrolle. Sie schmiegte sich an seine Brust, spürte seinen Arm, der sich um ihre Taille legte, sie so dicht an ihn heranzog, dass es wehtat. Das Pulsieren seiner Wunde an ihrer rechten Seite ließ die Bilder ihre Träume kurz aufblitzen. So nahe war er dem Tod gewesen und sie hätte es nie erfahren. Die Emotionen wallten heftig und unerwartet in ihr auf. Schmerz, mit nichts zu vergleichen, schoss durch ihre Adern.
Ihr Aufschluchzen ließ ihn einen Schritt zurücktreten. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände, küsste ihr erst die Tränen von der einen Wange weg, dann die der anderen. Er legte seine Stirn an ihre. »Ich wünsche dir ein glückliches, sorgenfreies Leben«, wisperte er mit geschlossenen Augen. Dann drehte er sich um, packte seine Tasche, und ehe Hanna einen weiteren Atemzug nehmen konnte, war sie allein im Zimmer.
Sie schlang die Arme
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