Hannas Entscheidung
und Marco können sehr schön singen. Es war ein netter Abend. Hätte sich der Mann für Sonja oder für Christina interessiert, wäre er mir vermutlich nicht aufgefallen. Ich denke, Sie verstehen als Mann, was ich meine? Seine Aufmerksamkeit galt aber eindeutig Hanna, mit der ich mich unterhielt. Als sie gehen wollte, bat ich sie, ein Taxi zu nehmen.«
»Was sie nicht tat, weshalb Sie den Anruf auf ihrem Handy erhielten.«
Überrascht sah ihn Bartoli an.
»Oh, Sie wissen bestimmt, dass sich Sonja und Marco mit mir in meinem Hotelzimmer getroffen haben, wo Sie doch immer jemanden in der Hotellobby hatten, um mich zu beobachten.«
»Ja natürlich. Mir war nur nicht klar, dass die beiden mich an dem Abend beobachteten.«
Ben zuckte mit den Achseln. »Erzählen Sie mir, was ich noch nicht weiß.«
»In einer Seitengasse, nicht weit von Ihrer Pension, warteten Männer auf sie. Hanna reagierte schnell, flüchtete und traf fast zeitgleich mit mir in der Pension ein. Ich brachte sie daraufhin zu mir nach Hause und sagte dem Kardinal Bescheid.«
»Und was dann?«
»Ich bot meinem Patenkind an, dass ich ihr helfen würde, für immer von der Bildfläche zu verschwinden.«
Langsam drehte sich Ben ganz zu dem Geistlichen um.
Dieser wich seinem Blick nicht aus. »Glauben Sie mir, Major Wahlstrom, niemand hätte sie je wiedergefunden – auch Sie nicht.«
Ben starrte den Mann an, versuchte zu verstehen, was in dessen Kopf vorging. Trieben ihn Sorge und Liebe dazu, seine Patentochter zu schützen? Wenn es so war, weshalb hatte er dann nicht viel früher eingegriffen? Wieder schien es, als könnte sein Gegenüber seine Gedanken lesen, was Ben einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Er war der Profi. Er hatte eine Ausbildung genossen, damit er Menschen etwas vorspielen konnte – sie belügen. Dass jemand ihn durchschaute, musste er erst mal verkraften.
»Ich habe es versucht. Direkt nach Gabriels Tod. Silvia war in den ersten Wochen nicht in der Lage, mit der Situation umzugehen. Hanna mit ihren noch nicht mal zehn Jahren hat sich um alles gekümmert. Und wenn ich alles sage, dann meine ich wirklich alles – einkaufen, kochen, putzen, die Wäsche machen und den gesamten notwendigen amtlichen Kram, der noch dazukam. Bei Letzterem half ihr Marie, die schon als junges Mädchen sehr geschickt mit Behörden umgehen konnte. Silvia hatte sich in ihrem Zimmer verkrochen, die Rollläden runtergelassen, und weigerte sich, irgendetwas zu sich zu nehmen. Es war mein größter Fehler, dass ich es nicht übers Herz brachte, die Töchter von ihrer Mutter zu trennen. Damals dachte ich, ich würde Silvia damit umbringen, ganz zu schweigen davon, dass Hanna es niemals zugelassen hätte. Armin Ziegler erschien dann eines Tages auf der Bildfläche. Sie müssen wissen, die beiden waren zusammen gewesen, bevor Silvia in ihrem sozialen Jahr Gabriel kennenlernte.«
Der Kardinal hörte auf zu reden, sah in den Garten, die Stirn gerunzelt. Ben setzte sich auf, beugte sich nach vorn.
Der Geistliche seufzte tief. »Armin hat es nie verkraftet, dass Silvia ihn für einen Priester sitzen gelassen hat. Mir war von Anfang an klar, dass Hanna es nicht akzeptieren würde, ihre Beschützerrolle abzugeben. Ich bot ihr deshalb immer wieder an, dass sie zu mir kommen könnte.« Er breitete die Arme aus. »Platz genug hätte ich gehabt, und ich glaube, sogar Silvia hätte irgendwann nachgegeben. Aber Hanna –«, er schüttelte den Kopf. Seine bernsteinfarbenen Augen fixierten Ben. Er beugte sich nach vorn. »Es wird nie zu Ende sein zwischen Armin und Hanna, bis einer von ihnen seinen letzten Atemzug macht. Versprechen Sie mir, dafür zu sorgen, dass es Hanna ist, die weiter atmet.«
»Ich bin kein Profikiller, Kardinal.«
»Nein?« Der Geistliche zog die Augenbrauen hoch. »Worin liegt der Unterschied?«
»Dass ich nur töte, wenn ich keine andere Wahl habe. Wissen Sie eigentlich, wie viele Menschen Ihre Kirche auf dem Gewissen hat?«
»Ja, und ich wollte Sie auch nicht dazu auffordern, jemanden zu töten. Ich möchte nur, dass Sie Hanna finden und sie beschützen.«
Ben visierte den Mann vor sich an. Er verhielt sich völlig anders, als er es erwartet hatte.
»Vielleicht sollten wir uns darauf konzentrieren, unserem Major Wahlstrom die Informationen zu geben, die wir haben, damit er Hanna finden kann.«
Der Kardinal nickte Bartoli dankbar zu.
»Hanna hat am Sonntag die Stadt verlassen. Ich selbst habe sie zum Bahnhof gebracht. Sie stieg in
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