Hannas Entscheidung
umfangreichen Aufgabengebiet die Zeit haben, Videoaufnahmen des Petersplatzes zu studieren. Machen Sie das jeden Tag? Über den ganzen Zeitraum? Oder erhalten Sie Zusammenfassungen?«
»Ich wähle die für mich interessanten Zeiträume aus.«
»Wo ist Hanna?«
»Weshalb wollen Sie das wissen, Major Wahlstrom?«
»Sie ist nicht ohne Grund in einem Zeugenschutzprogramm.«
»Ja, sprechen wir darüber.« Die Höflichkeit schwand aus dem Gesicht des Kardinals, und kühl sah er Ben an. »Wie konnten Sie es wagen, sie hier aufzusuchen? Was haben Sie sich dabei gedacht? Dass Sie unbeobachtet bleiben wie ein beliebiger Tourist?«
»Niemand wusste, dass ich mit ihr etwas zu tun habe.«
»Ach nein? Niemand? Wissen Sie, Major Wahlstrom, wenn Sie ein simpler Polizist wären, würde ich Ihnen ihre Dummheit vielleicht verzeihen.« Er beugte sich vor, richtete dem Zeigefinger auf Bens Brust. »Aber jemand wie Sie sollte wissen, wie gefährlich die Leute sind, mit denen Hanna es zu tun hat. Die FoEI mag berechenbar sein, weil Geld und Macht ihre Handlung bestimmt, aber das sind auch Menschen, und Menschen werden von Eitelkeiten und Rachegefühlen angetrieben.«
»Welchem Verein gehören Sie an, Kardinal Voigt?«
Der Würdenträger lehnte sich zurück. »Der katholischen Kirche.«
»Wenn Sie so überaus besorgt um Hanna sind, wo waren Sie dann die letzten Jahre? Oder nur das letzte Jahr? Wissen Sie, sie hat Sie mit keiner Silbe erwähnt.« Getroffen, dachte Ben, als er sah, wie der Kardinal zusammenzuckte. »Hören Sie, es mag sein, dass ich einen Fehler gemacht habe ...«
Verächtlich pustete der Kardinal aus als Kommentar auf Bens Worte.
»Also gut«, lenkte er ein, »ich habe einen großen Fehler gemacht. Aber ich bin hier, um Hanna zu beschützen. Meine Aufgabe ist es, sie in Sicherheit zu bringen.«
»So wie Lukas Benner?«, mischte sich Professor Bartoli in das Gespräch ein.
»Das Zeugenschutzprogramm ist nicht der Knast.«
»Nein. Wenn Sie ihre Identität, ihre Familie und alles, was sie selbst und ihr Leben bisher ausgemacht hat, aufgeben müssen, dann ist das schlimmer als Knast.«
Ben fixierte den Professor, der ihn mit einer tiefen Ruhe ansah. »Woher wussten Sie, dass es sich bei Sabine Schmidt um Hanna handelte?« Selbst für Paul war es kein einfaches Unterfangen gewesen, die Information für ihn zu besorgen. Es musste eine weitere Sicherheitslücke geben. Diese zu schließen würde die oberste Priorität haben, sobald Hanna wieder unter seiner Obhut stand.
»Wir haben sie nicht gefährdet. Wir haben lediglich auf sie aufgepasst.«
»Sie brauchen keine Sorge zu haben, Major Wahlstrom«, übernahm der Kardinal das Gespräch, »es gibt keine Sicherheitslücke in Ihrem System. Schreiben Sie es einer göttlichen Fügung zu.«
Ben verzog das Gesicht. »Gott schützt sie nicht vor einer Kugel.«
»Nein, das ist richtig.«
»Wollen Sie für ihren Tod verantwortlich sein?«
»Nein. Ich stand schon einmal an ihrem Grab und habe geglaubt, sie für immer verloren zu haben.«
»Dann sagen Sie mir, wo sie ist.«
»Das kann ich nicht, denn ich weiß es nicht.«
Er lachte hart auf. Die beiden glaubten doch jetzt nicht im Ernst, dass er ihnen das abkaufte.
»Was wir Ihnen aber sagen können«, hob der Professor erneut an, »ist, dass sie nach Deutschland zurückgekehrt ist.«
»Hanna hat sich entschieden, dass sie wieder ihr eigenes Leben führen möchte. Wir waren davon ausgegangen, dass sie sich diesbezüglich mit der Polizei in Verbindung setzt.«
»Warum haben Sie das nicht den Beamten erzählt, die Sie befragt haben?«, wandte sich Ben direkt an den Professor.
Dieser schüttelte leicht amüsiert den Kopf. »Wir sind hier in Italien, Major Wahlstrom, ich werde mich hüten, über Dinge zu reden, die ich nicht gefragt werde.«
»Gut, dann erzählen Sie mir, was am letzten Samstagabend vorgefallen ist.« Ben lehnte sich im Stuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und streckte die Beine aus. Er sah sehr wohl, wie die beiden im Bruchteil einer Sekunde einen raschen Blick miteinander wechselten, nicht mehr als ein Blinzeln, mit dem der Kardinal offensichtlich dem Professor seine Zustimmung erteilte.
»Sonja, die Sie ja bereits kennengelernt haben, hat die Gruppe zu einem gemeinsamen Abend überredet. Das macht sie ziemlich häufig, allerdings hatte sich Sabine – also Hanna – bisher meistens da rausgehalten. Nach einer Pizza blieben wir an der Piazza Santa Maria de Trastevere hängen, Sonja
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