Hannas Entscheidung
Sie verzog das Gesicht.
Sofort war Hanna an ihrer Seite. »Alles in Ordnung mit dir? Du hättest die Sachen hier nicht hochtragen sollen, Lisa, ich hätte doch auch runterkommen können.«
»Jetzt fang du nicht auch noch an, mich in Watte zu packen. Das war nur ein Tritt in meine Blase. Verdammt. Gib mir deine Hand.« Sie packte Hannas Hand und legte sie auf ihren Bauch.
Den Tritt gegen ihre Handfläche konnte Hanna deutlich spüren. »Wow, da ist aber jemand schon ganz schön am Trainieren.« Sie hockte sich vor Lisa auf den Boden und ließ ihre Hand auf dem Bauch. Es kam ihr wie ein kleines Wunder vor, mit welcher Intensität sich das Baby in dem Bauch bewegte. »Tut das nicht weh?«
»Manchmal, aber das halte ich gern aus.«
Dieses Leuchten – dieses selige Lächeln. Hanna stand auf und holte ihre Kamera.
»Bist du wahnsinnig? Ich sehe völlig fertig aus«, protestierte Lisa.
»Du hast keine Ahnung, wie schön du bist.«
Nachdem ihr die Schwangere zwanzig Minuten als Modell zur Verfügung gestanden und sie die Beleuchtung im Wohnzimmer auf den Kopf gestellt hatte, war Hanna mit ihrer Ausbeute zufrieden.
»Ich frage mich, wie ich Ben erklären soll, dass ich in seinem Wohnzimmer alles verschoben habe. Du bringst mich in Teufels Küche«, jammerte Lisa.
»Gar nicht. Er wird es nicht merken. Versprochen.«
»Du hast keine Ahnung! Er merkt es, selbst, wenn ich seine Couch nur einen Millimeter verschoben habe.«
Hanna grinste. Jemand wie Ben war darauf angewiesen, jede Veränderung wahrzunehmen. Aber ihre Aufmerksamkeit war durch das Fotografieren genauso geschult. Sie wusste, sie würde das Wohnzimmer wieder so hinbekommen, dass er nichts merkte.
»Weißt du, was es wird?«
»Ja – ein Junge. Aber sag es bloß nicht Tom! Er muss noch leiden, weil er mich bei unserem letzten Termin versetzt hat.«
»Er ist Arzt.«
»Das bin ich auch.«
»Also gut, dann lass ihn zappeln und bestrafe dich selbst.«
Lisa kniff die Augen zusammen. »Wieso bestrafe ich mich selbst?«
»Geteiltes Leid, halbes Leid – geteilte Freude, doppelte Freude.« Hanna schnappte sich ein Brot und biss mit echtem Genuss ab.
»Den ersten Teil von dem Sprichwort kenne ich, den zweiten hast du erfunden. Wie lange bleibst du?«
»Maximal zwei Nächte.«
»Wenn ich dich frage, weshalb du hier bist?«
»Bekommst du keine Antwort. Je weniger du weißt, umso besser ist es. Ich hätte überhaupt nicht zu dir kommen dürfen, aber ich wusste nicht, wohin.«
»Ist deine Tarnung aufgeflogen?«
Dass Ben und Lisa Geschwister waren, ließ sich nicht von der Hand weisen. Lisa besaß eine unglaublich empathische Begabung, und es wunderte Hanna, wie sie in der Lage war, mit dem Leid, mit dem sie als Ärztin konfrontiert wurde, fertig zu werden. Eigentlich hätte sie gedacht, dass Ärzte knallhart sein mussten, damit sie selbst keinen seelischen Schaden nahmen.
»Warum bist du dann hier und nicht bei der Polizei?«
Hanna schüttelte den Kopf.
»Dir ist aber klar, dass du Patentante von diesem kleinen Racker wirst!«
»Keine Sorge, ich passe auf mich auf.«
»Das hoffe ich. Und nun erzähl von deiner Arbeit in Rom und dieser Sonja.«
Erst, als die Haustür ging, half Hanna Lisa von der Couch auf. Sie nahm das Tablett und trug es runter. Lisa stellte ihr Tom vor, und er stellte sich als ein durch und durch sympathischer Kerl heraus, aber was hatte sie sonst erwartet? Dennoch war Hanna froh, als sie sich mit einem »Ich bin müde« nach oben zurückziehen konnte. Das Bett war frisch bezogen. Es gab zwei Kissen, aber nur eine große Decke. Kaum hatte ihr Kopf das Kissen berührt, war sie eingeschlafen.
Auf dem Nachttisch klebte ein Zettel. »Frühstück steht unten für dich, Wohnung ist offen. Wehe, du verdrückst dich, ohne dich zu verabschieden.«
Unglaublich, dass sie so tief und fest geschlafen hatte, dass sie noch nicht mal bemerkt hatte, dass Lisa heraufgekommen war. Sie grinste. Ihr Blick fiel auf den Wecker, und mit einem leisen Schrei sprang sie aus dem Bett. Sie hatte zwölf Stunden am Stück geschlafen. Verdammt, sie war hier nicht auf Urlaub. Hastig wusch sie sich und zog sich an. Sie überlegte, ob sie ihren Rucksack mitnehmen sollte, entschied sich aber dagegen. Erst mal musste sie herausfinden, wo Marie wohnte.
Die Brötchen schmierte sie sich, um sie unterwegs zu essen. Nur einen Kaffee verleibte sie sich ein und schnappte sich noch einen Apfel und eine Banane. Lisa würde bestimmt nichts dagegen haben. Ihre Haare
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