Hannas Wahrheit (German Edition)
senkte die Augen, sah auf seine Hände. Es läuft ab jetzt nach deinen Spielregeln, sprach er leise zu sich. Er musste das Risiko eingehen, tun, was er im Moment für das Beste hielt. Anders lief es auch bei einem Einsatz nicht. Man konnte im Vorfeld nicht jedes Detail besprechen. Irgendwann gab es den Punkt, wo er alleine entscheiden und die Verantwortung für das Ergebnis tragen musste. Das war es nicht, was ihm Probleme bereitete. Die Frage war, wie viel er ihr sagen konnte, ohne zu riskieren, dass sie es an die andere Seite verriet. Einerseits wollte er, dass sie mit ihnen kooperierte. Dass sie ihnen half, herauszufinden, wie tief Medicares in der Sache mit drin steckte. Schon einmal hatte sie sich gegen ihren Stiefvater gestellt und schwer dafür bezahlt. Diesmal war es nicht nur ihr Stiefvater, gegen den sie sich stellen würde, sondern auch ihre Schwester. Immerhin leitete Marie die Stiftung, und wenn sie nicht hinter der Sache steckte, würde sie bei einer Verhaftung von Armin Ziegler in jedem Fall die Folgen zu tragen haben. Würde Hanna bereit sein, sich gegen ihre Familie zu stellen?
Und dann gab es noch eine Möglichkeit, die er in Betracht ziehen musste: Dass Hanna selbst in die Sache verwickelt war. Was, wenn sie aufgrund dessen, was ihr in der Vergangenheit zugestoßen war, loyal zu ihrem Stiefvater stand? Die Spannung bei der Veranstaltung zwischen ihnen vielleicht nur eine Show für ihn war? Was bedeutete ihre hartnäckige Weigerung, die Bilder herauszurücken? Oder die Tatsache, dass sie den Überfall überlebt hatte? Nicht zu vergessen das Geschick, mit der sie sich der Überwachung entzog.
Erschwerend kam hinzu, dass er sich nicht in der Lage fühlte, die Angelegenheit neutral zu betrachten. Er konnte sich hier nicht auf seine Intuition verlassen, die ihn sonst in seinen Einsätzen nie im Stich ließ. Hanna besaß eine Anziehungskraft auf ihn, der er sich nicht entziehen konnte. Auch jetzt nicht. Die Art, wie sie ihr Kinn auf das Knie des hochgestellten Beins gelegt hatte und ihn aufmerksam beobachtete, machte etwas mit ihm. Dazu diese blauen Augen.
„Ehrlich?“, räusperte er sich. Sie nickte stumm. Es lag etwas in ihren Augen, das er nicht verstand und das ihn verunsicherte. Die nächste Frage rutschte ihm aus dem Mund, bevor er darüber nachdenken konnte. „Wirst du im Gegenzug genauso ehrlich sein?“
Sofort sah er in ihrem Blick den Rückzug. Sie schloss die Augen. Nach einer gefühlten Ewigkeit hoben sich die Lider mit den dichten, langen Wimpern. Echte lange Wimpern, im Gegensatz zu Marie.
„Ja.“
„Ich möchte immer noch das Gleiche von dir: die Verantwortlichen für das, was unten in Afrika passiert ist. Nicht diejenigen, die einen Job erledigt haben.“
Es waren die Ruhe und Sachlichkeit in seiner Stimme, die ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Für einen Moment war in ihr eine Hoffnung mitgeschwungen, er würde etwas anderes sagen. Das passierte, wenn Gefühle einem in die Quere kamen. Sie dachte an das Bild, welches sie von ihm gemacht hatte, und das von ihm gelöscht worden war. In diesem Bild war der Jäger sichtbar gewesen. Er würde nicht locker lassen, bis er hatte, was er wollte, da war sie sich sicher.
„Ihr habt die Söldner in Afrika getötet?“
„Nein, zur Rechenschaft gezogen.“
„Wo liegt der Unterschied?“
„Dass nur die tot sind, die bei unserem Einsatz Widerstand geleistet haben, der Rest muss sich der nigerianischen Gerichtsbarkeit stellen.“
Major Wahlstrom hatte kein Mitleid mit diesen Männern. Sie hatten gewusst, worauf sie sich einließen. Er würde auch kein Mitleid mit denjenigen haben, die das Ganze zu verantworten hatten. Er wich Hannas Blick aus, starrte auf seine Hände.
„Ich verstehe“, erwiderte sie leise. „Und weil du denkst, ich hänge da mit drin, bin ich jetzt dran, richtig?“
Er sah sie an, versuchte in ihren Augen die Wahrheit zu lesen, während er ihr die nächste Frage stellte.
„Hängst du mit drin?“
„Nein.“ Sie machten eine Pause. „Es war Zufall“, ihre Stimme brach ab. Egal was sie sagte, er würde ihr sowieso nicht glauben. Selbst sie würde sich nicht glauben, wenn sie an seiner Stelle wäre. Mit den Fingern begann sie, die Krümel auf dem Teller hin und her zu schieben. Nein, das alles, was passiert war, war kein Zufall gewesen. Sondern Bestimmung. Wieso sollte ausgerechnet sie in einem afrikanischen Dorf sein, das ein Projekt des Unternehmens ihres Stiefvaters war, genau in dem
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