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Hannas Wahrheit (German Edition)

Hannas Wahrheit (German Edition)

Titel: Hannas Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Rachfahl
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den sechs Müslisorten auch eingelegte Champignons. Hannas Wohnung und Küche waren ihm vertraut. Er wusste, wo alles stand. Interessanterweise machte es kein Unterschied, ob Hanna in der Wohnung war oder nicht. Sie schien ein Gewohnheitstier zu sein, das alles an seinem Platz haben musste. In der Wohnung gab es keinerlei Schnickschnack. Weder Kerzenhalter, Blumenvasen, Figuren noch Bilderrahmen. Selbst bei ihrem Kampf war nichts zu Bruch gegangen, weil nichts herumstand. Das einzige Zerbrechliche in dem Raum waren die zwei Bildschirme auf dem Schreibtisch. Er mochte die Askese der Wohnung.
     
    Hanna drehte den Schlüssel in der Badezimmertür um. Sie hasste es, eingesperrt zu sein. Heute gab es ihr allerdings ein Gefühl von Sicherheit. Ihr Blick schweifte über das Badezimmer, das absolut sauber war. Keine Haare, keine Wasserlachen, ihr Shampoo und Duschgel standen exakt an ihrem Platz. Sein benutztes Handtuch lag im Wäschekorb. Hätte sie nicht gewusst, dass er vor ihr im Badezimmer gewesen war, sie hätte es nur an der feuchten Luft bemerkt. Sie atmete ein paar Mal tief ein und aus. Dann setzte sie sich an den Badewannenrand und ließ das Wasser einlaufen.
    Sollte er doch warten, bis er schwarz war. Ein passendes Sprichwort, dachte sie grimmig, während sie in ihrem Schrank nach den passenden Badeessenzen suchte. In Anbetracht ihrer schmerzenden Muskeln wählte sie einen entspannenden Badezusatz, allerdings ohne Kampfer, denn die Schürfwunden an ihren Händen würden durch das Wasser aufweichen. Sie betrachtete ihr Gesicht im Badezimmerspiegel. Sie sah sich in die Augen und fragte sich, ob sie wirklich einen Menschen im Zorn getötet hätte, wenn die Klingel sie nicht zur Besinnung gebracht hätte. Warum war sie überhaupt so wütend auf Ben Wahlstrom? Weil er dich bedrängt. Weil er versucht, dich in eine Richtung zu bewegen, in die du dich nicht bewegen willst. Weil er deine Familie bedroht. Deine Schwester und deine Mutter. Weil du mir versprochen hast, auf sie aufzupassen.
    Hörte sie die sanfte Stimme ihres leiblichen Vaters in ihrem Kopf. „Ich habe mein Versprechen nicht gehalten“, flüsterte sie leise. „Ich habe schon vor langer Zeit mein Versprechen gebrochen.“ Sie kam sich vor wie ein gefangenes Tier, das sich in einem Labyrinth befand. Überall lockte ein Pfad in die Freiheit, doch nur einer war richtig und würde nach draußen führen. Sie schüttelte die Hilflosigkeit ab. Nein, sie würde nicht aufgeben. Es musste Hinweise geben, wie sie die richtige Entscheidung treffen konnte. Damit ihr klar wurde, was sie tun musste.
    Lukas hatte von einem Spiel gesprochen, von dem sie ihre Finger lassen sollte. Doch was meinte er damit? Sie spielte keine Spiele, das hier war bitterer Ernst. Hastig drehte sie den Hahn zu. Das Wasser floss bereits in den Überlauf. Sie zog sich aus und ließ sich langsam ins Wasser gleiten.
    Für ihre Muskeln war das heiße Wasser eine Wohltat, ihren Prellungen tat es nicht so gut. Es war nicht das erste Mal, dass sie blaue Flecken am Körper davontrug. Diesmal waren es welche aus einem Kampf, was den Schmerz erträglicher gestaltete. Sie stellte das Gedankenkarussell in ihrem Kopf ab und konzentrierte sich auf ihr inneres Bild.
    Eine Wiese an einem Waldrand, durch die ein Bach floss. Ihr Vater mit ihrer Mutter auf einer Picknickdecke. Der Kopf ihrer Mutter lag im Schoß des Vaters, der im Schneidersitz dasaß. Marie hockte im Gras und pflückte Blumen. Hannas heile Welt.
    Als das Wasser abgekühlt war stieg sie aus der Badewanne. Sie rubbelte sich ihre Haare trocken, schnappte sich ihre Jogginghose und zog ein T-Shirt und die Strickjacke ihres Vaters an. Die Ärmel waren abgenutzt, an den Ellenbogen befanden sich Lederflicken. Mit dem Handtuch beseitigte sie die Spuren im Bad und rückte die Flaschen wieder an ihren richtigen Platz. Das Handtuch legte sie zum Trocknen auf die Heizung.
    Als sie den Flur betrat, zog ihr der Duft von Rühreiern in die Nase. Ihr knurrte der Magen, sie hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen. An den Türrahmen gelehnt, blieb sie stehen. Ben Wahlstrom stand am Herd, den Rücken ihr zugewandt. Der kleine Tisch war gedeckt mit Teller, Gläsern, Besteck, eine Flasche Wasser stand darauf. Er pfiff leise vor sich hin. Ohne zu schauen, zog er eine Schublade auf, holte einen Untersetzer heraus, stellte ihn auf den Tisch. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er kurz sein Werk. Er wandte sich ein weiteres Mal um, öffnete zielsicher den Gewürzschrank

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