Hannas Wahrheit (German Edition)
der Zorn über sie, weil sie sich vor ihm rechtfertigte. Ärgerlich warf sie ihren Löffel hin, der Appetit war ihr vergangen.
„Du hast denen gestern doch nicht die Masche von den ach so besorgten Soldaten abgekauft?“
„Schhht.“ Etliche Leute sahen schon auf die beiden. Vermutlich dachten sie, es wäre ein Streit zwischen Tochter und Vater. Allerdings war sich Hanna nicht sicher, ob sie hier unbeobachtet waren oder ob man sie abhörte. Auch ihr war klar, dass sie es nicht mit dem normalen Militär zu tun gehabt hatten.
„Es ist mir egal, ob mich hier jemand belauscht“, regte sich Harald Winter auf, allerdings senkte er seine Stimme. „Das ist ein Verein, der über Leichen geht. Ich hoffe, das ist dir bewusst. Vielleicht war es ja nicht von dir geplant, von denen aber bestimmt. Und aus welchem Grund auch immer er mit dir ins Bett gestiegen ist, glaube ja nicht, es hätte keine Absicht dahinter gesteckt.“
„Es steckte Absicht dahinter.“
„Ach ja?“ Beide Augenbrauen von Harald Winter schossen in die Höhe.
„Er wollte sich entschuldigen.“ Trotzig schob Hanna Rosenbaum die Unterlippe vor. Das Bild, wie Wahlstrom ein Kondom aus seiner Hosentasche gezaubert hatte, stand ihr deutlich vor Augen. Es gab ihr einen Stich, gleichzeitig fühlte sie, wir ihr Magen anfing zu rebellieren. Sie beherrschte sich. Sollten sie belauscht werden, war es besser, überzeugend zu sein.
Harald Winter verschluckte sich an seinem Kaffee.
„Wofür? Dass er dir deinen Hüftgürtel abgenommen hat?“
Sie biss sich auf die Lippen. Auf keinen Fall würde sie Harry erzählen, was gestern passiert war.
„Hanna, weißt du, was ich normalerweise an dir mag? Dass du dir nichts vormachst, sondern mit beiden Beinen fest in der Realität stehst. Du sitzt hier nicht heulend herum, obwohl ich weiß, dass dir der Tod von Ochuko und den Kindern sehr nahe gegangen ist. Ich weiß auch, dass du schlau genug bist, das Ganze zu vergessen. Etwas, was ich ganz bestimmt tun werde. Aber was du hier heute Morgen verzapfst, ist echter Bullshit. Dazu noch dein romantisch entfremdetes Gesicht. Was hat dir der Typ gegeben? Drogen?“
Das reichte, sie legte klirrend ihr Besteck hin, stand auf und rauschte aus dem Frühstücksraum. Sie registrierte sehr wohl die mitfühlenden Blicke der älteren Anwesenden, die auf Harry ruhten. Sie fragte sich, ob jemand von dem Verein darunter war. Mist, es war ihr egal, was sie dachten.
Irgendwann im Flugzeug entschuldigte sich Harald Winter bei ihr. Gemeinsam schauten sie sich die Bilder an, die Hanna Rosenbaum bereits als Auswahl für National Geografik zusammengestellt hatte. So blieb ihr der Weg in die Redaktion erspart. Immer wieder schweifte dabei ihr Blick auf die Warnanzeige ihres Antivirenprogramms. Nichts, kein Blinken, keine Warnmeldung, alles schien in Ordnung zu sein. Sie konzentrierte sich wieder auf die Auswahl der Fotos. Für einen kleinen Absatz in der Reportage suchten sie das letzte Bild von Ochuko aus und das, wo er mit Harry im Sonnenuntergang stand. Harald Winter formulierte einen unverfänglichen Text als Nachruf auf ihren Fremdenführer und sprach von einem Unfall.
Doch Bilder wie Worte hinterließen ihre Spuren bei Harald Winter und Hanna Rosenbaum. Den restlichen Flug hingen sie beide ihren Gedanken nach. Das, was Hanna am meisten an den Bemerkungen von Harald Winter ärgerte, war, dass er mit seinen Äußerungen ihre Zweifel geweckt hatte. Für einen Moment war ihr Leben schön gewesen, ohne Angst, ohne Verrat. Tief in ihrem Innern wusste sie, Major Wahlstrom hatte sie benutzt. Egal, wie sehr sie glauben wollte, dass die Initiative von ihr ausgegangen war, sie war einfach nur verdammt gut manipuliert worden. Sie schluckte, weil sie daran dachte, wie leicht es gewesen war. Ein wenig Mitgefühl, ein wenig Zärtlichkeit, ein bisschen Schmeicheleien, und sie war Wachs in seinen Händen gewesen. Was hatte sie denn geglaubt – dass sie auf einmal unwiderstehlich anziehend auf Männer wirkte? Sie gönnte sich eine halbe Stunde Selbstmitleid, bevor sie sich wieder aufraffte, ihre Kamera nahm, das zweite Objektiv aus ihrem Gürtel war heile geblieben und Bilder aus dem Fenster des Flugzeugs zu schießen begann. Die Bilder waren nichts, aber es beruhigte den Aufruhr in ihrem Inneren.
Gleich nach der Ankunft nahm sie Kontakt zu Viktor Samuels auf. Wohlweislich bat sie dazu nicht Harald Winter um sein Handy, sondern suchte sich ein Münztelefon. Sie selbst besaß kein Handy. Es
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