Hannas Wahrheit (German Edition)
verärgert, wenn sie sie fotografierte. In diesem Fall löschte sie das Bild. Die meisten nahmen es freilich gar nicht wahr.
Bei Viktor Samuels angekommen, zog sie ihren Schlüssel raus und betrat die Wohnung. Eine kleine Dreizimmerwohnung im zweiten Stock. Das Chaos, das sich ihr bot, ließ ihr den Atem stocken. Überall standen dreckige Teller und Gläser herum, leere Flaschen, Kleidungsstücke lagen achtlos auf dem Boden. Vorsichtig bahnte sie sich einen Weg in die Küche, wo es nicht besser aussah. Den Herd zierte eine dicke Fettkruste, der Boden klebte, sodass ihre Tritte einen schmatzenden Laut von sich gaben. Viktor, Viktor, wie kann man nur in so einem Saustall leben, dachte sie. Sie suchte nach einem sauberen Platz für ihren Rucksack. Seufzend wischte sie von einem Stuhl die Krümel herunter, legte ihre Sachen ab, hängte ihre Jacke über die Stuhllehne und krempelte die Ärmel hoch.
Als sich eine Stunde später der Schlüssel in der Tür drehte, war die erste Spülmaschine am Laufen.
„Hey, Hanna, schön, dass du wieder da bist.“
„Viktor, du bist ein Schwein. Schaff dir endlich eine Putzfrau an.“
„Bist du wahnsinnig, die letzte hat mir jedes Mal die Stecker aus dem Rechner gezogen. Außerdem, wie willst du mich sonst bezahlen?“
Er drückte ihr rechts und links einen Kuss auf die Wange. „Also, wo ist das gute Stück?“, kam er gleich zur Sache.
Sie deutete mit dem Kopf auf ihren Rucksack, während sie sich wieder dem Herd zuwandte. Den Tisch hatte sie sich gleich als Erstes für ihre Säuberungsaktion vorgenommen. Der Gedanke, ihr schönes MacBook Air käme mit diesem Dreck in Berührung, stieß sie ab.
Er setzt sich an den Laptop und fuhr den Rechner hoch. Mit gerunzelter Stirn flogen die Finger über die Tasten, starteten Programme, externe Geräte wurden angeschlossen, der Rechner wurde hoch und wieder runtergefahren. Zwischendrin brachte ihm Hanna Rührei, Tomaten, Gurken und ein Glas Wasser an den Tisch.
Leise pfiff er durch die Zähne, lehnte sich zurück und streckte sich. „Mit wem warst du denn zusammen?“
Obwohl sie wusste, dass sich Viktors Worte nicht auf ihre sexuellen Aktivitäten bezogen, trieben seine Worte ihr die Röte ins Gesicht, und ihr Ärger über ihre Naivität kochte wieder hoch. „So schlimm?“
„Nicht schlimmer als jeder andere Trojaner, aber verflixt gut gemacht, wenn man bedenkt, wie lange ich gebraucht habe, um ihn zu identifizieren.“
„Hat er sich an meine Bilder gehängt?“ Sie schlug die Hand vor den Mund, ihre Augen weiteten sich. „O Gott, ich habe Harry die Bilder für die Reportage auf einem USB-Stick mitgegeben.“
Verärgert runzelte Viktor Samuels die Stirn. „Babe, langsam solltest auch du wissen, dass sich Trojaner nicht wie Viren übertragen. Nein, deine Bilder sind clean. Ich denke auch nicht, dass es die Absicht des Trojaners ist, sich weiter zu verbreiten. Ich glaube, er macht andere Dinge.“
„Und was für welche?“
„Na ja, es kommt darauf an, welche Aufgabe er hat. Soll er überwachen, welche Seiten du im Browser besuchst, oder deinen E-Mail-Verkehr abfangen? Oder möchte jemand deinen Rechner fernsteuern, um so zum Beispiel ein Bot-Netz aufzubauen?“
„Bot-Netz?“
„Ja, das kann ein einträgliches Geschäft sein, wenn es vermietet wird, um beispielsweise einen Konkurrenten mit Mails vollzuspamen.“
Sie stellte sich hinter Viktor und starrte auf den Bildschirm ihres Laptops, wo in unzähligen Fenstern Daten durchliefen. Ihr sagte es gar nichts, was da auf dem Bildschirm passiert. Doch sie vertraute Viktor in jeder Hinsicht, was Computer anging.
„Kannst du rausfinden, was dieser Trojaner bei mir macht?“
„Können schon, wird aber ein Weilchen dauern, das ist eine harte Nuss. Kannst ja derweil mit dem Putzen weitermachen.“
„Kein Wunder, dass deine Beziehungen nie länger als zwei Wochen halten, wenn du deine Freundinnen ständig so behandelst.“
Viktor grinste. „Du hältst es schon zwölf Jahre mit mir aus.“
„Ja, aber nur weil ich ein gutmütiges Schaf bin und masochistisch veranlagt.“
„Gib es endlich zu: Du bist einfach hoffnungslos verliebt in mich.“
„Klar, und die Sonne dreht sich um die Erde.“
Hanna hatte das Gefühl, als würde jemand sie im Schlaf beobachten. Sie riss die Augen auf und starrte Viktor an, der mit einem dampfenden Becher Kaffee vor ihr hockte und sie lächelnd ansah. Ihr Gehirn brauchte einige Sekunden, bis sie wusste, wo sie war. Je mehr sie in der
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