Hannas Wahrheit (German Edition)
Weltgeschichte herumreiste, desto häufiger geschah es, dass sie desorientiert erwachte.
Viktor Samuels reichte ihr den Becher mit dem dampfenden Kaffee. Sie setzte sich auf, nippte vorsichtig. Er setzte sich mit einem zweiten Becher zu ihr.
„Danke für das Aufräumen.“
Sie grinste ihn schief an. Die Wohnung war blitzblank geputzt. Alle Schränke waren wieder ordentlich sortiert und an der Pinnwand hing ein Zettel mit einer Einkaufsliste.
„Dafür der Kaffee und das Lächeln?“
„Nein, lachen muss ich, weil du dich wie ein kleines Kind auf meiner Couch eingerollt und im Schlaf die komischsten Gesichter gemacht hast.“
„Du siehst im Schlaf genauso komisch aus.“
„Tatsächlich? Woher willst du das wissen?“ Seine Stimme war nicht vorwurfsvoll, doch sie empfand seine Worte so.
„Ich weiß noch genau, wie wir uns das erste Mal in der Klinik begegnet sind.“ Sie legte den Kopf schief und betrachtete Viktor. Es war überhaupt nicht seine Art, rührselig zu sein oder in der Vergangenheit herumzustochern.
„Du bist damals mit einer Spiegelreflexkamera im Garten herumgeklettert, völlig versunken darin, die Welt durch das Objektiv zu betrachten. Du hast gelacht und hattest deinen Spaß, du hast über das ganze Gesicht gestrahlt. Und ich habe mich gefragt, weshalb du in der Klinik warst. Du hast es mir nie erzählt.“
Sie schwieg und trank langsam ihren Kaffee, ohne ihn dabei anzusehen.
„Ich habe dir im Garten meine ganze Lebensgeschichte erzählt, von dir aber wusste ich nur deinen Namen: Hanna. Ohne dich wäre ich niemals aus der Klinik herausgekommen. Ohne dich würde ich heute nicht hier sitzen und Kaffee trinken.“
Nervös zupfte sie an der Kuscheldecke, mit der Viktor sie zugedeckt hatte. Sie hatte keine Ahnung, was sie ihm sagen oder was sie erwidern sollte.
Er sah sie an. „Du musst eine Entscheidung treffen“, erklärte er ruhig. „Was du dir da eingefangen hast, ist nicht irgendein Trojaner, aber das war dir vermutlich schon klar.“
Sie trank ihren Kaffee in kleinen Schlucken weiter.
„Er überwacht deine Aktivitäten auf dem Computer, er leitet deine eingehenden und ausgehenden E-Mails an eine andere Adresse. Er protokolliert alles, was du im Internet machst, und schickt diese Informationen in regelmäßigen Abständen in kleinen Häppchen ebenfalls an diese Adresse. Nein, das ist eigentlich nicht richtig, denn würde es sich um eine Adresse handeln, hätte ich sie gefunden. Im Grunde ändert sich bei jeder Übertragung die Adresse. Außerdem lässt sich dein Bildschirminhalt abrufen, und zwar wirklich ziemlich geschickt, ohne dass es zu viel von deinem Prozessor beansprucht. Wobei du ja sowieso bereits ein leistungsstarkes Maschinchen hast. Um es kurz zusammenzufassen: Entweder wirst du von einer Behörde überwacht, oder du bist in den Fokus einer kriminellen Elite geraten.“
Nachdenklich runzelte Hanna die Stirn. Sie starrte vor sich hin.
„Also, was willst du tun?“
„Er bleibt drauf“, entschied sie ruhig.
Fahrig fuhr sich Viktor Samuels mit den Händen durch seine langen Haare. „Das kann gefährlich sein.“
„Eine Gefahr, die ich kenne, ist nicht mehr gefährlich.“
„Wem zum Teufel bist du auf den Füßen herumgetrampelt?“
Sie zuckte mit den Achseln. „Keine Ahnung. Aber ich denke, es ist nur eine Sicherheitsmaßnahme.“
„Eine Sicherheitsmaßnahme? Hanna, das ist eine bis aufs kleinste Detail ausgeklügelte Software. Sie ist so raffiniert programmiert, dass ich gar keine Ahnung habe, wie du überhaupt auf die Idee gekommen bist, dass sie auf deinem System ist. So was kostet Geld, das bringt niemand für Sicherheitsmaßnahmen in den Umlauf. Wer so was einsetzt, will etwas von dir.“
„Aber ich nichts von ihm.“
Sie trank den Kaffee aus, drückte Viktor einen Kuss auf sein Haar, stand auf und machte sich auf die Suche nach ihrem Rucksack. Sie spürte, wie Viktor sie beobachtete, als sie ihre Sachen zusammenpackte. Seine Sorge drückte sich in seiner ganzen Körperhaltung aus, das rührte sie. Sie kam zu ihm und lächelte ihn schief an.
„Danke.“
„Du solltest zur Polizei gehen.“
„Und ihr was sagen? Dass ich einen Trojaner habe?“
„Ja.“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein.“
„Wenn du tot bist, glaub nicht, ich käme auf deine Beerdigung.“
Familie
A uf dem Rückweg machte Hanna Rosenbaum einen Schlenker bei einem Technikkaufhaus vorbei und kaufte sich einundzwanzig neue 8-Gigabyte-Speicherchipkarten. Sie betrat ihre
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