Hannas Wahrheit (German Edition)
verletzt zu werden.
Hanna schob die Gedanken beiseite und schloss die Augen. Alle ihre Sinne waren auf die neuen Gefühle ausgerichtet, die sein an sie geschmiegter Körper in ihr auslösten. Sie seufzte tief.
„Was ist? Immer noch nicht satt?“, flüsterte er leise an ihrem Ohr.
„Hm, doch“, antwortete sie schnell. Mehr konnte sie nicht verkraften. Sie fühlte sein Lächeln an ihrem Hals, ein prickelndes Gefühl.
„Warum dann der Seufzer? Tut es dir leid?“
Warum mussten Menschen mit ihrem Reden alles kaputt machen, fragte sich Hanna ärgerlich. Keine Macht der Welt würde sie dazu bringen, ihm zu sagen, weshalb ihr das Stöhnen über die Lippen gekommen war. Ihr war klar, dass er sie für alle Zeit verändert hatte. Bis heute war sie gut ohne Sex ausgekommen. Einzige Ausnahme: ein Experiment mit Viktor Samuels an ihrem achtzehnten Geburtstag. Es war eine sachliche, fast wissenschaftliche Angelegenheit gewesen, zu erfahren, wie es sich anfühlte, wenn man seinen Körper öffnete für einen anderen. Das Experiment war eine Probe für ihre Freundschaft gewesen, ohne dass sie recht verstanden hatte, weshalb. Was sie heute Nacht mit einem wildfremden Menschen geteilt hatte, dieses völlige sich Aufgeben und Eintauchen in einen anderen, sich loslassen, sich nirgendwo mehr festhalten, nichts denken, nichts sagen, einfach nur sein – das war etwas gänzlich Anderes.
Hanna runzelte verwirrt die Stirn. Eigentlich hätte es sich erschreckend anfühlen müssen, sich so aufzugeben, wie sie es noch nie zuvor getan hatte. War sie dazu bereit gewesen, weil sie wieder einmal so knapp dem Tod von der Schippe gesprungen war? Sie schauderte bei der Erinnerung daran.
Sanft strich seine Hand ihren Körper entlang, sein Arm umschlang sie und hielt sie fest. Ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit floss durch ihre Adern wie ein warmer Strom, erreichte ihr Herz und ließ es stocken. Ihr Hals verengte sich, trockene Tränen traten in ihre Augen. Es war so lange her, dass sie gehalten worden war, dass einmal nicht sie die Starke sein musste. Trotzdem: Sie musste dem Ganzen sofort ein Ende bereiten, bevor sie sich verlor und aus dieser Schwäche nicht mehr herauskam. Es war an der Zeit, diesen Menschen aus ihrem Bett zu werfen. Ihn wegzuschieben, bevor er sie verletzen konnte.
„Ich möchte schlafen“, erklärte sie ruppig.
„Dann schlaf“, ignorierte er den Rauswurf entsprechend knapp.
„Verschwinde.“ In ihrer Stimme lag mehr Schärfe als beabsichtigt.
„Sonst passiert was?“
Hanna spannte ihren Körper an, vor ihren Augen baumelte ihr Messer. Wie dumm und naiv sie gewesen war, was für ein leichtes Opfer sie war. So schnell hatte er sie die Gefahr vergessen lassen. Aber sie würde sich wehren. Sie musste nur schneller sein als er.
„Erstichst du mich dann mit deinem Messer?“
Sie konnte den Schalk in seiner Stimme hören. Langsam drehte sie sich um, sodass sie sein Gesicht in der Dunkelheit erahnen konnte, nur seine Augen konnte sie nicht erkennen. Seine ganze Körperhaltung war entspannt. Er legte das Messer vorsichtig in den Spalt zwischen ihre Körper. Dann ergriff er ihre Hand und führte sie zu dem Messergriff.
„Du kannst mir vertrauen. Es ist nicht meine Absicht, dich zu verletzen, Hanna, das weißt du.“ Sie sah sein breites Lächeln nicht, hörte es aber in seinen Worten. Ihre Finger umschlossen den Griff ihres Messers. Er zog seine Hand zurück, legte sie unter seinen Kopf.
„Lass mich wenigstens bei dir bleiben, bis du eingeschlafen bist.“ Eine Bitte ohne Erwartung. Sie drehte sich um und ließ es zu, dass er sich wieder an sie schmiegte.
„Waren die Bilder brauchbar?“
Sein Körper spannte sich unmerklich an.
„Werdet ihr die Angreifer hochgehen lassen?“
Er schwieg und küsste ihr Haar.
„Mit Gewalt auf Gewalt zu antworten ist keine Lösung“, erklärte sie ruhig.
Er entspannte sich, genoss die Wärme ihres Körpers. Der künstliche Duft von Duschgel war längst ihrem Körpergeruch gewichen, ein wenig roch sie inzwischen nach ihm. Ihre regelmäßigen Atemzüge signalisierten ihm bald, dass sie eingeschlafen war. In seinen Armen, obwohl ihre Finger weiterhin den Griff des Messers umschlossen hielten. Es war interessanter gewesen, nicht zu wissen, ob er womöglich jeden Moment sein Leben riskierte. Eine Art Ansporn für ihn, sein Bestes zu geben. Dennoch war es leichtsinnig gewesen, zuzulassen, dass sie sich zum Messer hocharbeitete. Ein Gefühl, das er ein zweites Mal
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