Hannas Wahrheit (German Edition)
Der Oberst beugte sich vor, sein Blick wurde intensiver, und Wahlstrom fühlte das Adrenalin in seinen Adern. „Sehen Sie, wir denken, es gibt eine wirtschaftliche Organisation, deren Strukturen nicht unähnlich denen der Mafia sind. Ich tue dir einen Gefallen, und damit stehst du in meiner Schuld. Nur dass hier die Wirtschaft im Mittelpunkt steht, nicht das Verbrechen. Wir alle profitieren von dem, was die Unternehmen erwirtschaften, und ohne sie gäbe es letztlich keine Demokratie und keine Politik.“
Major Wahlstrom zog skeptisch die Augenbrauen hoch. Er glaubte auch, dass es Unternehmen gab, die ihre wirtschaftlichen Interessen durchsetzten, und das nicht immer zum Wohl der Gesellschaft. Aber das waren Ausnahmen, nicht die Regel.
Der Oberst winkte ab. „Denken Sie nicht, ich wollte die ganze Wirtschaft verdammen. Andererseits gäbe es einige Konflikte nicht, wenn es nicht ein wirtschaftliches Interesse dahinter gäbe, richtig?“
„Wir sind vom Thema abgekommen“, erinnerte er seinen Vorgesetzten an ihr ursprüngliches Gespräch.
„Haben Sie sich die Bilder von dem Überfall mal ganz genau angesehen?“
Wahlstrom spürte Ärger hochkochen. Er konnte es nicht leiden, wenn jemand die Gewissenhaftigkeit in seiner Arbeit infrage stellte. Hinzu kam, dass er sich selbst den Vorwurf machte, dass sie womöglich die Kommandogruppe der Söldner erwischt hätten, wenn er, statt im Hotel bei einer Frau zu liegen, im Lager gewesen wäre. Er war ein Perfektionist, wenn es um seine Arbeit ging. Niemand hatte ihm ein Vorwurf gemacht, das konnte er selbst dafür umso besser. Bei dem Gespräch mit dem Stab war die Kritik ebenfalls aufgekommen, weshalb es bei dem Start des Einsatzes zu einer Stunde Verzögerung gekommen war. Da er nicht in Bereitschaft gewesen war, landete die Kritik beim Einsatzkommando und nicht bei ihm persönlich. Das änderte für ihn allerdings nichts.
Wahlstrom schluckte den Ärger hinunter, räusperte sich und entschloss sich zu antworten.
„Abgesehen von der strategischen Planung gab es ein offensichtliches Ziel bei der Aktion.“
Der Oberst nickte zufrieden und legte ihm ein Bild von einer Einheimischen vor, die in einem Gespräch mit Ochuko vertieft war. In ihrem Gesicht zeichneten sich die Knochen prägnant ab. Wie bei jemandem, der lange Zeit hungerte.
„Rukia Mutai, die Schwester von Ochuko Mutai, Ärztin, die ihren Job im Krankenhaus verloren hat, nachdem bei ihr der HIV-Test positiv ausfiel. Sie hörte von dem Projekt und bewarb sich als Betreuerin für die HIV-positiven Kinder, deren Eltern verstorben sind. Eine ideale Besetzung, da sie durch ihren ärztlichen Hintergrund die Therapien und die Studien viel besser unterstützen konnte. Auch Medikamente von Medicares waren Teil dieser Studie. Ihr Haus war es, das bei dem Überfall in die Luft gejagt worden ist. Vermutlich sollte es nicht das einzige sein, aber zu mehr kamen die Söldner nicht dank des Eingreifens des nigerianischen Militärs. Vier Leichname der Kinder, die Rukia Mutai betreute, sind nicht verbrannt. Sie werden untersucht, aber bisher haben wir bei der Autopsie nichts feststellen können.“
„Sie denken, dass Rukia Mutai auf ein Problem bei den Medikamenten gestoßen ist?“
Oberst Hartmann nickte zufrieden. „Ja, genau das denke ich.“
Zweifelnd hob Wahlstrom die Augenbrauen. „Ich finde das ein bisschen weit hergeholt und die Aktion einigermaßen drastisch, falls es um eine unvorhergesehene Nebenwirkung bei einem Medikament geht.“
Oberst Hartmann beugte sich vor, seine Augen funkelten. „Sie haben keine Ahnung, worum es hierbei geht. Hier geht es um verdammt viel Geld und einen Ruf, den ein Pharmaunternehmen zu verlieren hat, denken Sie nur an den Contergan-Skandal. 2400 Betroffene leben heut noch allein in Deutschland, 100 Millionen DM flossen als Entschädigung der Firma Grünenthal damals in eine Stiftung, und 2008 flossen weitere 50 Millionen Euro in die Contergan-Stiftung. 2008, achtundvierzig Jahre später.“
Major Wahlstrom runzelte nachdenklich die Stirn. Er war zwar nicht alt genug, um sich an den Contergan-Skandal zu erinnern, doch er erinnerte sich noch sehr gut an eine Diskussion zwischen seiner Schwester Lisa und ihrem Lebensgefährten. Damals war es darum gegangen, dass die Firma Celegene den Wirkstoff von Contergan für die Behandlung von zwei Krankheiten wieder auf den Markt gebracht hatte. Seine Schwester empfand es als unverantwortlich, wohingegen ihr Lebensgefährte der Meinung
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