Hannas Wahrheit (German Edition)
unbedacht sein Name über die Lippen, leuchteten die Augen ihre Mutter. Marie benahm sich sehr viel direkter. Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie sie mit Philip verkuppeln wollte. Philip sei doch ein total netter, lieber Kerl, genau das, was sie brauche. Außerdem gehöre er zu den besten Freunden von Lukas. Wäre es nicht genial, wenn sie zwei Männer hätten, die miteinander befreundet wären? Außerdem sei es an der Zeit für sie, ein neues Kapitel in ihrem Leben aufzuschlagen. Ganz ähnlich waren auch Viktors Worte gewesen.
Sie fühlte die widerstreitenden Gefühle in sich. Da war ihre übergroße Angst, sich einem anderen Menschen gegenüber zu öffnen, und diese Gefahr bestand, wenn sie sich auf eine Beziehung mit Philip einlassen würde. Andererseits hatte die Nacht in Nairobi ihr gezeigt, dass auch sie Bedürfnisse hatte. Bedürfnisse, die sie bisher gekonnt aus ihrem Leben verbannt hatte. Philip war nett, zuvorkommend, höflich und hatte bei ihren Verabredungen bewiesen, dass er durchaus in der Lage war, mit ihrer schweigsamen Art fertig zu werden.
„Hanna, bist du dran?“, hörte sie die Stimme von Philip am anderen Ende der Leitung.
„Ja.“
„Wir sollten uns angewöhnen, über Skype zu telefonieren, dann kann ich dich sehen und du brauchst nur zu nicken oder den Kopf zu schütteln.“
Sie grinste. Philip neckte sie gerne und schaffte es immer wieder, dass sie mehr redete, als sie es normalerweise tat.
„Hast du viel zu tun?“
„Ja.“
„Wie weit bist du denn mit den Fotos für die Ausstellung?“
„Woher weißt du davon?“
„Na ja, wenn du nichts erzählst, muss ich ja von irgendwoher meine Informationen bekommen“, flachste er.
Sie zog scharf die Luft ein. Sie starrte auf ihren Bildschirm und befürchtete jeden Moment, eine Warnmeldung für Virusbefall aufleuchten zu sehen.
„Hanna, du bist doch nicht sauer?“
Sie holte tief Luft, suchte nach dem richtigen Wort.
„Es tut mir leid. Vermutlich hast du gerade das Gefühl, dass ich dich regelrecht verfolge. Aber so ist es nicht, höchstens ein bisschen. Nein, Hanna, im Ernst. Es war Zufall. Marie hat gestern von der Veranstaltung erzählt und was sie für das Abendessen plant, wen sie eingeladen hat und so weiter. Du kennst sie doch. Hanna?“
„Ja.“
„Du bist doch nicht sauer, oder?“
Sie seufzte. Konnte Philip etwas dafür, dass sie im Moment unter Verfolgungswahn litt? Nein, was sie wirklich störte, war die Art, wie ihre Mutter und Schwester mit Philip über alles sprachen, was sie betraf. Auf einmal sehnte sie sich zurück nach der Einfachheit, mit der sie auf ihren Touren in der Natur lebte. Die Regeln waren klar, niemand erwartete etwas von ihr und sie konnte niemanden mit ihrem Verhalten verletzen. Sie presste den Hörer an ihr Ohr, während sie auf das Bild von den zwei Menschen starrte, die tot waren. Das Leben konnte verdammt kurz sein, ging es ihr durch den Kopf. Zu kurz, um ständig wütend oder beleidigt zu sein. Am anderen Ende der Leitung war es absolut still. Schließlich holte sie Luft.
„Nein.“
Erleichtert atmete er auf.
„Hanna, du weißt gar nicht …“
Sie unterbrach ihn. „Ich habe Hunger, hast du Lust, mit mir zu essen?“ Sie konnte regelrecht hören, wie seine Gedanken durcheinanderwirbelten. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen.
„Bei dir?“
Sie zögerte kurz. „Nein, bei Cantamaggio, dem Italiener in der Alten Schönhauser Straße.“
„Bin schon unterwegs.“
Sie legte das Telefon langsam zurück auf die Ladestation, stützte die Ellenbogen auf den Schreibtisch und vergrub stöhnend ihr Gesicht in den Händen.
„Was habe ich bloß getan.“
Major Wahlstrom sah, wie Hanna Rosenbaum aus dem Haus kam. Fluchend legte er den Apfel beiseite. Den ganzen Tag war er nicht zum Essen gekommen, inzwischen dämmerte es bereits. Erst war er zu einer Abteilungsbesprechung im BKA gewesen, dann wollte Oberst Hartmann einen Zwischenbericht von ihm. Er hatte nicht viel zu erzählen gehabt. In den letzten vier Tagen, seit Hanna Rosenbaums neuerlicher Ankunft in Berlin, war er ihr zwei Tage lang quer durch die Stadt gefolgt. Nur am ersten Tag hatte er sie verloren, worüber er sich maßlos geärgert hatte. Dann war er auf ihre ständigen Richtungswechsel, ihr abruptes Stehenbleiben oder das Untertauchen in der Menge vorbereitet. Ihre Unberechenbarkeit hatte mit ihrem permanent schweifenden Blick zu tun, der auf der Suche nach einem neuen Motiv die Gegend abscannte. Es hatte sich
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