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Hannas Wahrheit (German Edition)

Hannas Wahrheit (German Edition)

Titel: Hannas Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Rachfahl
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Rosenbaum hielt. An der Richtung, die sie einschlug, wurde ihm klar, dass ihr Weg sie zur U-Bahn führte. Es war Freitagabend kurz nach sieben, und auf den Straßen war genug los, um in der Menge zu verschwinden. Er hatte sich angewöhnt, eine dunkle Wendejacke zu tragen. Nichts Auffälliges, keine Markennamen oder einprägsame Motive. Unter der Jacke trug er eine dünne Kapuzenjacke, deren Kapuze er manchmal über den Kopf zog. Genauso befand sich eine Baseballkappe, ebenfalls sehr schlicht gehalten, in seinem Repertoire. Die beiden verschiedenen Sonnenbrillen setzte er nur ein, wenn das Wetter es zuließ. Die Kopfhörerstöpsel, einer in Weiß, einer in Schwarz, steckten immer in seinem Ohr. Das half, einen desinteressierten und abwesenden Eindruck zu vermitteln.
    Heute war Hanna Rosenbaum ungewöhnlich zielstrebig und schenkte ihrer Umgebung keinerlei Beachtung. Auch die Kamera, die sie in ihrem Rucksack immer bei sich trug, blieb weggepackt. Zugleich war sie schnell, was seine Tarnung gefährdete. Bei einem italienischen Restaurant blieb sie kurz stehen, zog die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen. Erst dann trat sie ein. Wahlstrom beschloss, langsam an dem Restaurant vorbeizugehen. Er warf einen schnellen Blick hinein und sah, wie sie ihre Jacke auszog und an einem kleinen Tisch in der Ecke Platz nahm. Dann schlenderte er auf der Straße weiter.
    Ein Mann in Anzug und dunklem Trenchcoat ging an ihm vorbei und steuerte das Restaurant an. Wahlstrom wechselte die Straßenseite. Er überlegte, ob das die Gelegenheit war, Hanna Rosenbaum zu offenbaren, dass er sich in der Stadt befand. Schon mehrmals war er nahe dran gewesen, sich ihr in den Weg zu stellen. Oberst Hartmann hatte gesagt, er sollte Kontakt mit ihr aufnehmen, um zu sehen, wie sie reagierte. Doch er hatte erst einmal seine Gefühle in den Griff bekommen müssen. Als er sie zum ersten Mal vor ihrer Wohnung auftauchen sah, war die Erinnerung an jene Nacht mit ihr allzu lebhaft vor seinen Augen aufgetaucht.
    Alles an ihr versetzte ihm ein Stich. Außerdem gefiel ihm der Gedanke immer noch nicht, dass er sie benutzte. Unter all den Bildern in ihrer Wohnung waren nur wenige von ihrer Schwester und Mutter gewesen. Von dem Stiefvater gab es überhaupt keines und nur ein Hochzeitsfoto von Marie und Lukas Benner. Dafür fand er ein Album mit Familienfotos, auf denen die drei Frauen in verschiedenen Altersstufen zu sehen waren. Anfangs war es ihm schwergefallen, die Zwillinge auseinanderzuhalten. Später fiel ihm auf, dass bereits damals Marie das quirlige, fröhliche, lächelnde Teil des Zwillingspärchens war, wohingegen Hanna meist aufmerksam und ernst in die Kamera schaute. Manchmal war auch ein Mann auf dem Foto. Dunkles, dichtes Haar mit hellen, blauen Augen und ein lebensfrohes Lachen, das Maries sehr ähnlich war. Wenn er auf dem Foto war, hingen beide Kinder an ihm.
    Dann gab es noch ein Album bei Hanna Rosenbaum. Auf dem kostbar gearbeiteten dunkelbraunen Einband stand in goldenen Buchstaben: „Mit den Augen von Hanna“. Darin waren Fotos von Blumen, Insekten, Autos, Straßenschildern, Wolken, vom Himmel, von Wasser und Steinen. Die Motive waren aus interessanten Perspektiven gewählt, aber von schlechter Qualität. Auf der ersten Seite stand eine Widmung, ebenfalls mit goldener Farbe geschrieben: „Glaube an dich. Betrachte die Welt in ihrer Einzigartigkeit. Sieh all das Schöne, das dich umgibt, und halte es fest. Dann erkennst du, dass es nichts zweimal auf Erden gibt. Dein Papa, der seine Hanna liebt, so wie sie ihm Gott gab und nicht anders.“
    Diese Liebe war auf jeder Seite des Albums fühlbar. Die Seiten waren so oft umgeblättert worden, dass manche sich aus dem Einband lösten. Major Wahlstrom war klar geworden, dass er hier den kostbarsten Schatz von Hanna Rosenbaum in den Händen hielt, und er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass dieses kleine Mädchen in seiner verschlossenen Art jemals einen anderen Vater in ihrem Leben geduldet hatte. Es war ihm schleierhaft, weshalb Oberst Hartmann glaubte, er würde durch Druck auf Hanna Rosenbaum auch Armin Ziegler unter Zugzwang setzen. Vielleicht würde es ihm die junge Frau selbst erklären, ohne dass es ihr bewusst wurde. Entschlossen überquerte er die Straße und betrat das Restaurant.

Begegnung
    H anna war in die Speisekarte vertieft, als Philip das Restaurant betrat. Sie hob den Kopf. In Anzug und Trenchcoat wirkte er schlanker, als er war. Er besaß ein

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