Hannas Wahrheit (German Edition)
ihn bisher nur im Anzug gesehen oder in Laufkleidung. Auch er beschäftigte einen Personal Coach und war entsprechend durchtrainiert.
Wahlstrom war sich nicht sicher, woher seine Abneigung gegenüber Lukas Benner kam. Vielleicht war ihm der Typ einfach zu eitel und zu sehr von sich selbst eingenommen. Benner sah gut aus und nutzte diesen Umstand bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Sei es im Restaurant bei der Bedienung oder bei der Verkäuferin im Schuhladen. Er aalte sich förmlich in den schmachtenden Blicken der Frauen. Wahlstrom war sich sicher, dass es nicht nur dabei blieb. Vor seiner Abreise hatte er sich mit Leutnant Celine Brunner unterhalten und ihre weibliche Meinung zu ihm eingeholt. Sie war in ihrer Beschreibung sehr präzise gewesen. Doch dann gab es da noch etwas anderes an Lukas Benner. Etwas, das er nicht wirklich in Worte fassen konnte.
Statt in der Wohnung, die ihm das BKA zur Verfügung gestellt hatte, schlief Wahlstrom zwei Tage in der Wohnung von Hanna Rosenbaum. Danach lüftete er die Räume, wusch die Bettwäsche, so dass in der Wohnung keine fremden Gerüche haften blieben. Er hatte sich einen Schlüssel nachmachen lassen, was einfach gewesen war. Ein kurzer Einbruch bei dem Hausmeister, ein Abdruck von ihrem Wohnungsschlüssel, und schon war die Sache erledigt. Er wusste genau, wer im Haus wo wohnte und welchen Beschäftigungen die Leute nachgingen. Die Nachbarin von Hanna Rosenbaum war eine freundliche Rentnerin, die ihn zu einem Kaffee und einem Stück Kuchen genötigt hatte, als er sich um die Störung an ihrem Funktelefon gekümmert hatte. Major Wahlstrom hatte dafür nur die Wanzen aus den Räumen von Hanna Rosenbaum entfernen müssen, was das BKA in der Nacht zuvor veranlasst hatte, als die Beschwerde bei der Telekom angekommen war. Der Auftrag für den Techniker war daraufhin storniert worden, doch Wahlstrom erklärte sich freiwillig für den Einsatz bei der alten Dame bereit. Als die Dame ihn zu einem Kaffee einlud, hatte er einiges über das nette Mädchen von nebenan erfahren. Hanna Rosenbaum half Frau Mendel bei den Einkäufen, wenn sie zu Hause war, sie schleppte Getränkekisten hoch oder kam auf einen Kaffee vorbei. Dann hörte sie sich die Geschichten aus dem Leben ihrer Nachbarin an. Sie war offenbar eine aufmerksame Zuhörerin, man konnte sich bei ihr völlig in der Vergangenheit verlieren, wie Frau Mendel schwärmte. Außerdem war sie ein ordentliches Mädchen, hatte nie Männer in der Wohnung, und überhaupt gab es außer ihrer Schwester oder Mutter niemanden, der sie besuchte. Allerdings war da in der letzten Zeit doch ein junger Mann. Ebenfalls sehr höflich und nett, der sich immer artig an der Tür verabschiedete. Aber einmal hatte Frau Mendel beobachtet, wie sie sich im Auto küssten. Es war aber auch wirklich an der Zeit, dass dieses Mädchen mal zur Ruhe komme, schließlich würde sie nicht jünger werden, hatte die Nachbarin hinzugefügt.
In den knapp eineinhalb Stunden mit Frau Mendel erfuhr er mehr über Hanna Rosenbaum als aus den BKA-Berichten von der Überwachung. Gerne wäre er noch länger geblieben, aber er befürchtete, dass er seine Tarnung als Telekom-Techniker aufs Spiel setzte. Schließlich konnten diese während ihrer Arbeitszeit ja nicht stundenlang mit einer alten Dame Kaffee trinken. Während er den Geruch von Hanna Rosenbaum aus ihrem Bett einatmete, versuchte er alles, was er über sie wusste, in einen Zusammenhang zu bringen. Am meisten irritierte es ihn, dass in ihrem Schlafzimmer ein Kreuz hing. Es war aus Holz geschnitzt. Eine feine, kunstvolle Arbeit, mit einer erschreckenden Intensität, die einem das Leiden dieses Menschen am Kreuz fühlbar machte. Er war überzeugter Atheist, und doch konnte er sich in dem Schlafzimmer von Hanna Rosenbaum der Ausstrahlung der Figur nicht entziehen. Er hätte sich vieles bei ihr vorstellen können, aber das Kreuz gab ihm ein unlösbares Rätsel auf. Wahlstrom erinnerte sich daran, dass sich ein Dornenkranz um ihren linken Oberarm als Tattoo wand. Es war ihm bisher nicht ungewöhnlich erschienen, einige Menschen ließen sich christliche Symbole tätowieren. Doch in Anbetracht der gekreuzigten Jesusfigur, die gegenüber von ihrem Bett hing, gewann der Dornenkranz eine neue Bedeutung. Er ertappte sich bei Monologen, die er mit der Figur führte. Als könnte sie ihm die Fragen beantworten, die ihm Hanna Rosenbaum aufgab.
Major Wahlstrom sprang aus seinem Auto, während er großen Abstand zu Hanna
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