Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hannas Wahrheit (German Edition)

Hannas Wahrheit (German Edition)

Titel: Hannas Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Rachfahl
Vom Netzwerk:
für ihn als schwer herausgestellt, nicht von ihrem Objektiv erfasst zu werden. Unentdeckt zu agieren gehörte allerdings zu seiner Ausbildung, sein unscheinbares Äußeres, das sich gut mit verschiedenen Outfits tarnen ließ, half ihm dabei. Hanna Rosenbaum zu beobachten, war eine herausfordernde Übung für ihn. Es trainierte seine eingerosteten Reflexe.
    Als Wahlstrom das erste Mal die Wohnung von Hanna Rosenbaum betreten hatte, war er nicht überrascht gewesen. Die Räume spiegelten ihr Wesen wider. Es gab keinen Schnickschnack, selbst die Möblierung wirkte spartanisch. An den Wänden hingen Collagen von ihren Fotos. Stundenlang war er in die Betrachtung dieser Bilder vertieft gewesen. Er spürte genau, dass diese Bilder mehr über die Fotografin erzählten, als es ihre Worte je vermocht hätten. Zugleich war ihm aufgefallen, dass einige der Fotos die gleiche erschreckende Kaltblütigkeit gegenüber dem Leben aufwiesen wie die Fotos von dem Angreifer in Afrika. Sie musste buchstäblich an Abgründen entlangbalanciert, auf Berge geklettert, durch Flüsse gewatet sein. Das riesige Maul eines Nilpferdes sah aus, als hätte sie mit dem Kopf dringesteckt.
    Warum ging sie diese Risiken ein, fragte er sich. Was trieb sie an, dass sie immer wieder an ihre Grenzen ging? Er war in ihr Badezimmer gegangen, hatte sich in ihr Bett gelegt. Jede Schublade war von ihm geöffnet und vorsichtig durchsucht worden. Es hatte ihm geholfen, dass sie in allem unglaublich systematisch war, nicht anders als bei der Zuordnung ihrer Speicherchips. So verstand er schnell, was er wo suchen musste. Allerdings war sein Vorgehen nicht unproblematisch, denn er war sich sicher, dass Hanna Rosenbaum es sofort bemerken würde, wenn sich etwas nicht exakt an seinem Platz befinden würde.
    Die Kleidung von ihr war rein funktionell. Cargohosen mit vielen Taschen, Jeans, Baumwollhemden, T-Shirts, Sweatshirts, Fleecepullis und bequeme Schuhe. Ihre Unterwäsche bildete keine Ausnahme. Keine Stringtangas, Spitzen-BHs oder andere Dessous. Stattdessen Hips, Sport-BHs und Microfaser-Unterhemden. Schade, bei der Leidenschaft, die sie im Bett gezeigt hatte, war er davon ausgegangen, dass zumindest ihre Unterwäsche ein paar reizvolle Stücke enthielt. Bis auf die Fotocollagen wirkte die Wohnung steril und unpersönlich, lediglich im Badezimmer mit seinen weiblichen Utensilien gab es Hinweise auf das Geschlecht der Bewohnerin.
    Als Nächstes hatte er sich mit der Zwillingsschwester von Hanna Rosenbaum befasst. Trotz der verblüffenden Ähnlichkeit waren diese Frauen so unterschiedlich, wie Geschwister nur sein konnten. Marie war immer elegant und modisch gekleidet, ihre Schuhe besaßen Absätze. Alle ihre Sachen unterstrichen die ausgewogenen Proportionen zwischen der Länge der Beine und ihrem Oberkörper. Marie Benner besaß einen Personal Coach für ihr Fitness-Training, der regelmäßig dreimal pro Woche ins Haus kam. Von den Maßen her waren beide Frauen gleich gebaut, was ihn faszinierte. Er war sich sicher, dass Hanna zehn Kilo mehr auf die Waage brachte als Marie, die sehr auf ihre Figur achtete. Doch ihr Mehrgewicht verteilte sich auf Bauch, Hüften und Busen, ohne die Grundstruktur ihres Körperbaus zu verändern. Er fragte sich, ob das bei allen eineiigen Zwillingen so war. Marie Benner trug ihr langes Haar meist hochgesteckt, sodass ihr langer Hals zur Geltung kam. Marie Benner war nicht im klassischen Sinne schön, dafür war ihre Nase zu knubbelig, die Lippen zu schmal und ihr Gesicht zu kantig. Aber Marie Benner strahlte eine Sinnlichkeit aus, die nicht nur die Blicke der Männer auf sich zog. Auch er hatte sich dabei erwischt, dass seine Augen für eine unauffällige Beobachtung viel zu lange auf ihr ruhten.
    Er versuchte, sich an Hanna Rosenbaums Ausstrahlung zu erinnern. Und musste lächeln, als er daran dachte, dass sie allein durch Dreck und Schrammen Aufmerksamkeit auf sich zog. Nur ihre Augen, dieses unglaublich intensiv leuchtende Blau, hatten ihn sofort in den Bann gezogen. Ihr Körper hatte ihn erst in der Nacht fasziniert, der Übergang von den weichen zu den durchtrainierten Stellen.
    Marie Benner pflegte die Geselligkeit. Sie besaß unzählige Freundinnen, ging jeden zweiten Abend aus oder lud Gäste in ihr Haus. Ihr Mann trug sein schwarzes Haar länger als auf den Fotos, die er von ihm kannte. Dank seiner maskulinen Ausstrahlung konnte er sich das leisten. Er achtete ebenso sorgfältig auf sein Äußeres wie seine Frau. Er hatte

Weitere Kostenlose Bücher