Hannas Wahrheit (German Edition)
ausgeprägtes Gespür für stilvolle Kleidung, Sie war sich sicher, dass es keine billigen Klamotten waren, die er trug. Es erinnerte sie an Marie. Sie beobachtete, wie Philip seinen Mantel dem Kellner zum Aufhängen reichte. Seine Augen schweiften suchend durch das Lokal, bis sie an ihr hängen blieben. Mit einem Lächeln kam er auf sie zu, beugte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
Sie hatte einen Tisch gewählt, der mit zwei Bänken statt Stühlen bestückt war. Ihren Rucksack hatte sie neben sich gestellt, Philip nahm gegenüber von ihr Platz. Der Kellner brachte auch ihm eine Karte und fragte nach den Getränken. Sie bestellte ein Viertel Pinot Grigio und einen Liter Wasser, Philip bestellte ein Weizenbier.
„Du hast mich ehrlich überrascht mit deiner Einladung zum Essen.“
„Hast du schon?“, hob sie fragend die Augenbrauen.
Er grinste. „Nein, aber wenn es so gewesen wäre, würde ich einfach noch mal essen.“
Sie konnte fühlen, wie ihr die Röte in die Wangen kroch, und senkte ihren Kopf wieder über der Karte. Sie hatte keine Ahnung, worauf sie Hunger hatte. Am liebsten wäre sie wieder zurück in ihre Wohnung gegangen und hätte sich in ihre Arbeit vertieft.
„Hallo, Hanna, was für eine Überraschung.“
Sie erstarrte bei dem Klang der Stimme, gleichzeitig lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Sie hob langsam den Kopf und sah in die hellgrauen Augen von Major Wahlstrom. Locker in Jeans, T-Shirt und Kapuzenjacke gekleidet, fast wie an dem Abend, damals im Hotel in Nairobi. Mit einem breiten Lächeln stand er vor ihr, als wäre es das Normalste auf der Welt, dass er sie hier in Berlin bei einem Italiener traf.
„Darf ich mich setzen?“
Bevor ihr ein Nein über die Lippen kam, hob er ihren Rucksack von der Bank und setzte sich neben sie. Philip blickte von ihr zu dem Mann neben ihr und schien nicht zu wissen, ob er eingreifen musste oder nicht. Das weckte sie aus ihrer Erstarrung.
„Ein Bekannter“, das war das Einzige, was ihr einfiel, um die Situation zu erklären. Sie rückte unmerklich ein wenig von dem Mann neben ihr ab, dessen rechter Oberschenkel warm an ihrem linken lag. Viel Platz blieb ihr nicht, und so presste sie ihre Beine zusammen. Seine Belustigung konnte sie spüren, ohne in sein Gesicht sehen zu müssen.
Major Wahlstrom reichte dem Mann gegenüber die Hand. „Ben Wahlstrom.“
„Philip Bornstedt. Ihr Nachname klingt norwegisch.“
„Mein Vater ist Norweger, meine Mutter war Deutsche.“
„Sind Sie hier in Deutschland aufgewachsen oder in Norwegen?“
„Anfangs in Norwegen, später in Deutschland. Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir uns duzen?“
Es faszinierte sie immer wieder, wie gewandt Philip im Umgang mit fremden Menschen war. Allerdings schien Ben Wahlstrom ihm in nichts nachzustehen. Er stützte sein Kinn auf die Hand und blickte sie an.
„Und Hanna, ein wenig beleidigt bin ich schon, dass du mich deinem Freund als Bekannten vorstellst.“
Sein Blick wurde so tief, dass sie hastig ihre Augen auf Philip richtete. Sie trank einen Schluck Wein, in der Hoffnung, den Alkohol für die brennende Röte in ihrem Gesicht verantwortlich machen zu können. Philip betrachtete sie nun seinerseits so intensiv, dass sich ein feiner Schweißfilm auf ihrer Oberlippe bildete. Sie wünschte sich eine Möglichkeit, sich einfach in Luft aufzulösen. Oder wenigstens ein Handy, das klingelte. Die Rettung kam in Gestalt des Kellners.
„Wir wollten gerade essen, möchtest du dich uns anschließen Ben?“, lud Philip ihn höflich ein.
„Nein“, kam sie hastig einer Antwort von Ben Wahlstrom zuvor.
Er grinste breit. „Hanna, du bist immer so ehrlich, das gefällt mir an dir.“ Er wandte sich an Philip. „Ich würde gerne mit euch essen, wenn es dich nicht bei deiner Verabredung mit Hanna stört?“
Statt einer Antwort lächelte Philip gequält. Aber Philip war selber schuld, weshalb hatte er auch die Einladung ausgesprochen, dachte Hanna verärgert. Er hätte damit rechnen müssen, dass dieser Wahlstrom sie annahm. Philip war einfach zu gut erzogen.
Der Kellner sah sie an. Er hob fragend die Augenbrauen. „Soll ich später wiederkommen?“
Wenigstens einer, der ihr Unwohlsein aufnahm. Sie liebte die Italiener für ihr feines Gespür gegenüber Frauen.
Sie holte tief Luft. Es hätte ihr klar sein müssen, dass sie diesen Mann nicht so schnell wieder loswerden würde. Ganz abgesehen davon hatte sie keinen blassen Schimmer, warum er hier
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