Hannas Wahrheit (German Edition)
war, und nicht im Polizeidienst. Er durfte töten, sie nicht. Das Überleben von Hanna Rosenbaum war damals eine Kette von unglaublichen Zufällen gewesen. Eine Hütte im Wald an einem See im Osten von Berlin. Zwei aufmerksame Spaziergänger, die von den Entführern übersehen worden waren. Vermutlich waren sie zu sehr mit ihrem perversen Vergnügen, die Jugendliche zu quälen, beschäftigt gewesen. Eine Besetzung am Nottelefon, die flink reagierte und den Anruf als wichtig einstufte. Eine Sondereinheit gebildet für die Entführung von Hanna Rosenbaum, die sich genauso rasch auf den Weg machte. Als sie die Hütte erreichten, warfen die Entführer den mit Steinen beschwerten Sack mit Hanna in den See. Die Polizisten stellten die Männer, aber ein Polizist sprang beherzt in den kalten See, tauchte nach dem Sack und brachte ihn zurück an die Oberfläche. Dort belebte er die Jugendliche wieder. Karl Hartmann. Als er den Namen las, musste er eine Pause einlegen.
Major Wahlstrom dachte zurück an das Verhör von Hanna Rosenbaum und wie seltsam ihm das Verhalten von Karl Hartmann vorgekommen war. In Nachhinein sogar noch seltsamer. Weshalb war er nicht zu ihr gegangen? Hätte sie ihm in diesem Fall die Bilder nicht freiwillig ausgehändigt? Oder war genau das der Grund, weshalb sein Oberst den Job ihm überlassen hatte? Weil er wusste, Hanna Rosenbaum würde die Bilder nicht ohne Druck herausrücken?
Er las den Bericht der Beamtin, die das Mädchen verhört hatte, kaum dass es im Krankenhaus wieder zu Bewusstsein gekommen war. Das Protokoll war bei der Schilderung, was man ihr angetan hatte, erschreckend gewesen in seiner kalten Sachlichkeit. Selbst die Beamtin hatte am Ende erschüttert angemerkt, mit welcher Ruhe die Jugendliche die Vorfälle schilderte, und hatte dringend eine psychologische Behandlung angeraten. Den Männern hätte das Geständnis mehr als einmal lebenslänglich eingebracht. Doch es war nie zu einer Verhandlung gekommen. Bei der Überführung der Männer von der Untersuchungshaft zum Prozess waren die Entführer von jemandem befreit worden. Zwei Tage später fand man sie mit einem Kopfschuss in der Spree. Dieses Verbrechen war niemals aufgeklärt worden. Die Polizei hatte Hanna Rosenbaum nach einem möglichen Mittäter verhört, genauso wie ihren Stiefvater Armin Ziegler. Letzteren wegen seiner Worte, die er zu seiner Frau gesagt hatte, nachdem sie das erste Mal zu dem Mädchen vorgelassen worden waren.
Als Major Wahlstrom die Berichte zu Ende gelesen hatte, war er in seine Wohnung gegangen. Von dort rief er seinen Vorgesetzten an und stellte ihn zur Rede. Das Gespräch dauerte über zwei Stunden. Danach verstand er, warum Karl Hartmann ihn nach Deutschland geschickt hatte. Es gab etwas, das nur er tun konnte, niemand sonst.
„Ja, bitte?“
„Ich bin es, dein Bruder.“
Wahlstrom hörte das Summen des Türöffners. Er nahm die Stufen zur zweiten Etage immer zwei auf einmal. Oben stand Lisa in der Tür, T-Shirt und Jogginganzug an, ihre langen kastanienbraunen Haare in einem wilden Pferdeschwanz hochgebunden, Schweiß perlte von ihrer Stirn. Das Staunen wich einem Lachen, dann hing sie ihm um den Hals und drückte ihn.
„Du bist es tatsächlich. Warum hast du nichts gesagt, ich hätte doch deine Wohnung lüften können, oder war dein Besuch nicht geplant?“, sprudelte es aus Lisa heraus. In der dritten Etage gab es eine kleine Dachgeschoss Wohnung, die Lisa ihm vermietet hatte und in der er normalerweise wohnte, wenn er beruflich in Berlin zu tun hatte oder Urlaub machte. Aber es war ihm sicherer erschienen, sein Privatleben mit diesem Auftrag nicht zu vermischen. Er schob sie ein Stück von sich.
„Ist Tom in der Sauna?“ Tom, sein Schwager, ebenfalls Arzt wie seine Schwester, war ein Gewohnheitstier. Schon seit er und seine Schwester sich kannten, war er jeden Mittwochabend in die Sauna gegangen, darauf hatte er gesetzt.
„Oh …“, stutzte Lisa
„Genau, niemand sollte wissen, dass ich hier bin.“
„Dann sollte ich wohl meinen Hausfreund rauswerfen.“
Er riss die Augen auf, und Lisa fing an zu lachen. „Komm rein, war nur ein Scherz.“ Sie boxte ihm auf den Arm. „Also ehrlich, dass du so etwas von mir denkst.“
„Dir ist alles zuzutrauen“, knurrte er. „Was machst du überhaupt im Jogginganzug, doch nicht etwa Sport?“
Lisa wurde rot, drohend hob sie ihren Finger. „Wehe, du sagst ein Wort.“ Sie klopfte sich auf ihren runden Bauch. „Ich möchte ein
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