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Hannas Wahrheit (German Edition)

Hannas Wahrheit (German Edition)

Titel: Hannas Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Rachfahl
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gehen niemals zur einer Behandlung, weder bei einem Frauenarzt noch bei einem Psychiater. Das, was passiert ist, existiert für sie nicht. Sie blenden es vollkommen aus ihrem Leben aus. Andere erholen sich nie davon, trotz einer Therapie. Sie entwickeln Depressionen, Angstzustände, verletzen sich selbst oder begehen Selbstmord. Einen großen Teil macht einfach der Charakter des Menschen aus, auch wie lange jemand dieser Gewalt ausgesetzt ist oder wo und wie sie stattfindet.“
    „Spielt es bei der Frage, wie jemand das Geschehene verarbeitet, eine Rolle, ob er gläubig ist?“
    „Ja, durchaus. Ich habe eine junge Frau in Ruanda erlebt, die aus ihrem christlichen Glauben unglaubliche Kraft schöpfte. Sie glaubte, dass Jesus sie reinwaschen würde von allen Sünden. Ich weiß, es klingt absurd, aber so war es.“
    „Stell dir vor, du wüsstest, wer dir das angetan hat, und du hättest die Möglichkeit, ihn zu töten. Würdest du es tun?“
    „Auch das ist eine Frage des Charakters.“ Sie machte eine Pause und sah ihm fest in die Augen. „Du weißt, es ist nicht leicht, jemanden zu töten.“
    „Könntest du dir vorstellen, dass so eine Frau eine tiefe Liebe zum Leben entwickelt und gleichzeitig eine Form von Selbstzerstörung betreibt?“
    Lisa hob abwehrend die Hände. „Du weißt, ich bin keine Psychologin, und Aussagen zu treffen, ohne jemals mit dem Menschen gesprochen zu haben …“ Sie hielt inne, kaute auf der Unterlippe. „Du musst dir vorstellen, dass eine Vergewaltigung immer eine Demonstration von Macht ist. Du bist wehrlos, und ich kann tun mit dir, was ich will. Eine Vergewaltigung kann dazu dienen, jemandem Schmerzen zuzufügen oder zu demütigen. Nicht nur diejenige, die du vergewaltigst, sondern womöglich auch diejenigen, denen dieser Mensch etwas bedeutet. Hilflosigkeit, Demütigung, Scham, das alles sind starke Gefühle, die einen Abscheu auf sich selbst, auf das Frausein auslösen können.“
    „Wenn diese Frau alles tut, damit sie sich nie wieder hilflos fühlt, was würde passieren, wenn man versucht, ihr genau dieses Gefühl zu vermitteln?“
    „Entweder sie gibt auf, oder sie fängt an zu kämpfen.“
    Er nickte nachdenklich. Dann stand er auf.
    „Hilft dir das?“
    „Ich weiß es nicht“, antwortete er ehrlich.
    Lisa stand auf und nahm ihn am Arm. „Komm, ich zeige dir etwas.“ Sie zog ihn in ihr Schlafzimmer und blieb vor einer Fotografie stehen. Es war ein Fjord in Norwegen im Nebel. Aus dem Himmel kam ein Sonnenstrahl, der die Wolken und den Nebel durchbrach und sein Licht auf eine rote Hütte am Wasser richtete.
    „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben“, flüsterte Lisa leise.
    Ein Schauer überlief ihn. „Hast du gerade die Bibel zitiert?“, fragte er mit rauer Stimme.
    „Ja, Johannes acht, Vers zwölf. Unter diesem Motto stand die Ausstellung der Künstlerin, wo ich das Bild erworben habe. Es hat mich tief berührt, muss ich gestehen. Ich finde, es passt irgendwie zu dem, worüber wir geredet haben. Ein Strahl der Hoffnung in einer Welt voller Dunkelheit. Eine norwegische Hütte am Fjord, ich musste es einfach kaufen. Erinnerte mich an Papas Hütte.“
    Er löste seinen Blick von dem Bild und sah seine Schwester an, die ihre Augen immer noch auf das Foto gerichtet hielt, ein stilles Lächeln im Gesicht. Sie umschlang sich mit beiden Armen.
    „Weißt du, wie die Künstlerin heißt?“
    Lisa runzelte die Stirn, drehte sich zu ihm um, schüttelte wie verwirrt den Kopf. „Ja, natürlich. Denkst du, ich kaufe mir ein Bild von einer Künstlerin, ohne dass ich ihren Namen kenne? Sie heißt Hanna Rosenbaum.“
     
    „Die unteren zwei Wohnungen, mit direktem Zugang zum Innenhof, bewohnen jeweils Familien. Die eine wird von Familie Schmidt …“
    „Uninteressant“, unterbrach Major Wahlstrom den Redestrom des BKA-Beamten. Sven Brinkmann sah ihn entrüstet an.
    „Das war immerhin ein halber Tag Arbeit, und du willst gleich zum Ergebnis kommen.“
    „Also, hast du jemand Interessantes im Haus gefunden?“
    Brinkmann blätterte in seinen Notizen, grinste breit. „Viktor Samuels, einunddreißig Jahre alt, Softwareentwickler bei der IT-Security Task-Force …“
    „Was für ein Name“, spottete Wahlstrom.
    „Kannst du mich eigentlich auch mal ausreden lassen?“
    Er nickte kurz mit dem Kopf. Er war nicht gut drauf.
    „Okay, diese IT-Security Task-Force ist ziemlich dick im

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