Hannes - Falk, R: Hannes
Fesselballon, und hat immer gesagt: »Schluss jetzt, Freunde. Seid doch friedlich, Freunde!«, und so was. Dann hat ihn der Brenninger am Kragen gepackt und geschrien: »Nenn du mich nicht einen Freund, hörst du! Auf solche Freunde kann ich nämlich scheißen!«
Dann ist er weg. Ich übrigens auch, weil meine Neugierde (für die ich mich auch wirklich schäme) ja nun gestillt war.
Bin am Sonntag in der Früh zu dir rein, und da war naturgemäß niemand außer uns beiden. Habe auch von einer der Schwestern einen Kaffee bekommen, schwarz und heiß, und diesmal hab ich ihn auch gerne getrunken. Ich hab dir die Geschichtevom Samstag noch mal erzählt, was überflüssig war, weil du ja dabei warst. Wobei mir aber doch aufgefallen ist, dass du bei der Stelle, wo ich meine Neugierde erwähnt hab, wieder mal gegrinst hast. Jede Wette.
Hab übrigens beim Heimgehen den Schnauzbart im Korridor getroffen, und der hatte noch jemand dabei, ebenfalls im weißen Kittel. In diesem Fall vielleicht besser Kittelchen, denn der Typ war so klein und dünn, dass eigentlich das Wort mickrig hier angebracht wäre. Na ja.
Jedenfalls hat mir der Schnauzbart erklärt, dass er jetzt in seinen wohlverdienten Urlaub gehe und dieser Winzling da wäre die Vertretung. Es wäre sein allererster Tag hier, er wird ihm nun die Klinik zeigen und wir sollen ihn doch bitte alle recht freundlich aufnehmen. Dabei hat er seinen Bart gezwirbelt. Der Kleine hat mir dann die Hand gereicht und seinen Namen buchstabiert. Man hätte ihm eine Schultüte in die Hand drücken sollen. Leider hab ich mir seinen Namen nicht merken können und nenn ihn jetzt Bonsai. Jedenfalls kann der dich ohne Räuberleiter oder Schemelchen niemals untersuchen, Hannes. Na ja. Genug für heute, es ist jetzt halb drei und Zeit für die Frau Stemmerle.
Freitag, 08.09.
Bin gerade etwas im Stress. Mein Vater hat mir vor einigen Tagen wieder Posaunennoten geschickt und auf eines der Notenhefte am Rande, handschriftlich und somit kaum wahrnehmbar, draufgeschrieben, dass sie am Samstag kommen. Leider habe ich die Hefte auf einem Stapel alter Zeitungenzwischengelagert und nicht weiter beachtet. Erst gestern, als ich das Altpapier rausbringen wollte, hab ich die Notiz gelesen, kurz bevor ich zur Arbeit musste. Hab mir also heute Morgen nach der Nachtschicht den erforderlichen Schlaf verkniffen und die Bude geputzt. Bin anschließend nahtlos ins Vogelnest gefahren. Jetzt fallen mir langsam die Augen zu, und es dauert noch Stunden, ehe ich mich hinlegen kann. Und ich kann noch nicht mal in mein eigenes Bett, weil ich das für meine Eltern gerichtet hab. Muss also auf die Couch, die nach Pizza und Bier und Tabak stinkt. Kann mich dann tagelang zutexten lassen von meiner Mutter und schließlich meinem Vater zuhören, wie er von einem Leben an meiner Seite träumt, in dem ich Posaune spielend weltweit ausverkaufte Konzerthallen fülle und er mich dabei begleitet. Mein Leben ist ein Müllhaufen! Die Zukunft ungewiss. Die Freunde dahin. Die Wohnung belagert. Oh Gott, ich hasse es! Ich brauche Schlaf!
Sonntag, 10.09.
Muss wohl tatsächlich irgendwann eingeschlafen sein. Bin jedenfalls später vom Tisch gerutscht und auf den Boden geschlagen. Dort bin ich nämlich aufgewacht und habe aus dem Ohr geblutet. Na ja. Freilich waren schwarze Schnürhalbschuhe das Erste, was ich sah. Weiter oben habe ich über einer ziemlich breiten Kutte das finstere Gesicht von Schwester Walrika erblickt, und sie sagte: »In der Heimordnung steht unmissverständlich, dass das Wachpersonal zu jeder Zeit bei Besinnung und für die Gäste verfügbar sein muss.Das kann man ja wohl in Ihrem Fall nicht behaupten. Wenn Sie jetzt in Gottes Namen die Güte hätten, das Frühstück vorzubereiten.« Kurz bevor ich nach Hause wollte, hat sie mich noch vor der Haustür abgepasst und gesagt: »Noch was in eigener Sache, Uli. Das Tabu für Ihre Geschmacklosigkeiten beinhaltet auch unsere Wäschekammer. Und auch das kleine Wäldchen dort hinten gehört noch zum Heimgelände. Die Frau Dr. Redlich hat ihre Abmahnung bereits erhalten, die zweite übrigens. Ihnen werde ich das ersparen, einfach weil Sie uns hier kein Geld kosten. Ich wäre Ihnen trotzdem sehr verbunden, wenn Sie sich künftig meinen Anweisungen und der nun mal bestehenden Heimordnung fügen würden. Und jetzt können Sie fahren, in Gottes Namen.«
Ja, es gibt nun mal keine Geheimnisse im Vogelnest, weder in der Wäschekammer noch im Wäldchen. Und die Walrika mit
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