Hannes - Falk, R: Hannes
meiner Eltern ausleihen konnte. Mein Vater hat irgendwas mit der Versicherung vorgebracht und wegen der Kilometerpauschale, dass er da nicht drüberkommen darf. Und am Ende hat meine Mutter noch vorgeschlagen, wir könnten doch alle zusammen (meine Eltern eingeschlossen) mit der Bahn hinfahren. Die hätten jetzt irgendeinen Gruppenrabatt, und das wär bestimmt nett. Das hätte mir grade noch gefehlt! Ich hab nur gesagt, wenn ich das Auto nicht krieg, möchte ich mein Schlafzimmer zurückhaben, und zwar sofort. Das hat funktioniert. Sie sind ja so durchschaubar. Ja, durchschaubar, engstirnig und stur.
Da fällt mir die Geschichte mit den Glasuntersetzern wieder ein. Weißt du das noch, Hannes? Wir haben damals im Handarbeitsunterricht so komische Glasuntersetzer basteln müssen. Und sosehr ich mich auch bemüht hab, sie haben immer scheiße ausgesehen. Deine dagegen waren erstklassig. Wir haben das dann so gemacht, wie wir’s immer gemacht haben: Du hast meine Untersetzer gebastelt und ich hab dir derweil die Matheaufgaben gelöst. Auf die Untersetzer bekamen wir beide ’ne Eins und durften die Teile mit nach Hause nehmen. Leichtsinnigerweise hab ich die Untersetzer dann als Weihnachtsgeschenk für meine Mutter missbraucht, und sie hat sich tierisch gefreut darüber. Sie war so stolz auf mich, dass ich mir eine solche Mühe gemacht habe, extra für sie, und das hatte ich natürlich im Vorfeld bedacht. Einige Weihnachten später hab ich ihr die Geschichte erzählt, in einer geselligen Runde, wo jeder von uns seine Missetaten zum Besten gab. Und was soll ich dir sagen? Sie hat mir einfachnicht geglaubt! Sie hat gesagt, das alles sei Quatsch und sie wisse ganz genau, dass ich diese dämlichen Untersetzer selbst gemacht hätte. Und das nur, weil sie die schön fand und der Geschichte einen romantischen Hintergrund geben wollte. Sie behauptet noch heute steif und fest, dass ich diese Untersetzer gemacht hätte.
Montag, 18.09.
War heute Morgen bei dir und habe gehofft, dass der Stundenplan aushängt. Deine Mutter hatte ja gesagt, sie hängt ihn an die Zimmertür, sobald wir wieder reindürften. Hab ihn aber leider nicht entdecken können. Was ich aber schon entdeckt hab, war, dass deine kalten blauen Hände nun in dicken Wollhandschuhen steckten. Bin dann extra ins Zimmer vom Schnauzbart (nun ja Zimmer vom Bonsai) und habe mich bedankt für die Wollhandschuhe. Der Bonsai kann kaum über den großen Schreibtisch gucken und hat gesagt, es passt schon, und dass es gut gewesen ist, dass ich das angesprochen habe. Da fragt man sich natürlich, warum ich das ansprechen muss und nicht das Pflegepersonal. Wo die doch seit Monaten dreimal täglich den Puls bei dir messen. Und da hat es noch nie jemand gemerkt, dass dir langsam die Hände absterben? Na ja. Jedenfalls hatte der Bonsai unter seinem weißen Kittel ein pinkfarbenes Polohemd an. Das war ganz schlimm, Hannes. Da saß dieser winzige Mann in seinem pink Polo und guckte zu mir hinauf. Später hab ich mir vorgestellt, wie der Bonsai nach dem Dienst im pink Polo in sein Barbieauto steigt und nach Barbiehause fährt.
Gestern waren wir also am Starnberger See. Bin davor zum Vogelnest gefahren, um die Walrika zu holen und gegebenenfalls die Frau Stemmerle. Die Walrika stand schon vor der Tür und hatte ein Kuchenblech auf dem Arm. Sie hat gesagt, die Frau Stemmerle kommt erwartungsgemäß nicht mit. Ich bin dann doch noch rauf zur Frau Stemmerle und hab gesagt, dass sie mir einen Gefallen schuldig ist. Sie hätte mich damals gebeten, in der Villa nach dem Rechten zu sehen, und das habe ich getan. Nun müsse sie aber auch was für mich tun. Und zwar mitfahren. Ich hab gesagt, dass ich es einfach nicht aushalte, den ganzen Tag allein mit der Walrika, die mich momentan eh auf dem Kieker hat, und dem Flori, der weder Muh sagt noch Mäh. Ich glaube, sie war direkt ein bisschen froh darüber. Vermutlich wollte sie lange schon mal dorthin und hat sich einfach nicht getraut. Nun hatte sie einen guten Grund, sich zusammenzureißen. Sie hat nur gefragt: »Kommt die Jasmin auch mit?« Und ich hab gesagt: »Die ist doch schon da.« Als wir ins Auto stiegen, hat die Walrika ganz schön blöd geschaut. Sie hatte einen Zwetschgenkuchen auf dem Schoß, und der verbreitete jetzt seinen Duft, dass mir die Zunge am Gaumen klebte. Den haben wir nachher gegessen unter den alten Bäumen, und die Septembersonne hat uns gnädig gewärmt. Die Frau Stemmerle hat später mit ihrem Sohn die Blumen
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