Hannes - Falk, R: Hannes
Vorgänger hier eingearbeitet hat. Wir haben da so einen Typen, Winfred, und der leidet unter Verfolgungswahn, was jetzt hier aber keine Rolle spielt. Jedenfalls sind wir zu ihm ins Zimmer rein und ich hab ihn begrüßt, indem ich »Servus Fredl« zu ihm gesagt hab. Was gar nicht böse gemeint war, ich schwör’s. Außerdem find ich auch Fredl viel netter als Winfred. Egal. Jedenfalls hat mich mein Vorgänger daraufhin am Kragen gepackt und gesagt: »Der Winfred heißt Winfred, und das soll auch so bleiben, kapiert!Das Einzige, was wir für die Menschen hier tun können, ist, sie zu respektieren. Ein bisschen Respekt hebt ihre Würde ganz enorm. Hast du das kapiert, du Prolet?« Ich hab genickt und schon gewusst, dass er recht hat damit. Ja, sosehr mir auch gegraust hat vor der Zivi-Zeit, ich bin schon ziemlich gern hier, warum soll ich dich anlügen? Werde morgen nach dem Dienst zu dir kommen. Gute Nacht!
Dienstag, 04.04.
Heute hab ich das erste Mal seit dem Unfall deinen Vater getroffen. Er ist bleich wie deine Mutter, hat einiges an Gewicht verloren (was ihm nicht schadet – ganz klar), und er hat nach Alkohol gerochen. Es war am frühen Abend, und zwar im Krankenhausfoyer. Wir haben uns eine Zeit lang unterhalten, meistens natürlich über dich. Er macht einen sehr bedrückten Eindruck, mein Freund. Er hat gesagt, dass jetzt alles anders geworden ist seit diesem Tag, diesem Scheißtag, hat er wörtlich gesagt. Und dass euer Hund seit diesem Scheißtag nun auch wieder in die Küche kackt. Genau seit diesem Tag, hat er gesagt. Er kann ja die wahre Geschichte nicht wissen, oder? Die Geschichte, dass der Hund vom allerersten Tag an nachts in die Küche geschissen hat. Du und deine Mutter, ihr wolltet damals unbedingt diesen kleinen Köter, ich erinnere mich genau. Das Vieh hat von Anfang an und beinahe täglich in die verdammte Küche gekackt, und dein Vater hat vom ersten Tag an getobt. Deine Mutter hat geweint, nicht wahr. Sie wollte das blöde Vieh ja unbedingt behalten, allein schon deinetwegen. Weil du ja ein Einzelkindwarst, und da solltest du wenigstens ein Hündchen haben. Irgendwann eines Morgens, nachdem deine Mutter die stinkenden Spuren der letzten Nacht beseitigt hatte, hat dein Vater gesagt: »Beim nächsten Mal kommt das Vieh weg, und wenn ich es eigenhändig in der Donau ersäufen muss!« Deine Mutter hat daraufhin geweint, und ab diesem Tag (du warst so vierzehn oder fünfzehn) hast du dir morgens den Wecker gestellt und bist vor deinen Eltern in die verschissene Küche gegangen und hast die nächtlichen Hinterlassenschaften deines Geschwisterchens beseitigt. Viele, viele Jahre lang, mein Freund. Das hat schon was Edles, muss ich gestehen. Würde aber gerne wissen, ob du’s wegen deiner Mutter getan hast oder weil dir selber was lag an der kleinen Töle. Werde dich fragen, sobald es geht. Jedenfalls hat dein Vater nun gesagt, es ist egal, ob der Köter weiterhin in die Küche scheißt oder nicht, er will ihn trotzdem behalten. Schließlich hätte man sich nach all den Jahren an ihn gewöhnt. Und wenn du erst wieder zu dir kommst, willst du ihn ganz bestimmt sehen. Vielleicht hört er ja dann auch wieder auf mit dem blöden Gekacke, hat er gesagt.
Bin heute früher zur Arbeit und war schon vor dem Frühstück anwesend. Es hat sich einfach so ergeben, also hab ich mitgefrühstückt. Das tu ich ja nach der Nachtschicht sowieso, hab nun aber beschlossen, dass ich es in Zukunft auch vor dem Tagdienst mache. Spart mir eine Mahlzeit, die ich nicht bezahlen muss, außerdem ist das Frühstück lecker. Es gibt Milchtee oder Kaffee Hag, dazu Semmeln, Marmelade oder Honig, Butter, gelegentlich Frischkäse vom Lehmbichlhof (die machen den eigentlich nur für den Eigenbedarf,manchmal bringt der alte Bauer aber einen Topf voll vorbei – unglaublich gut). Die alte Frau Stemmerle (die ihre Enkelin umgebracht hat) freut sich immer unheimlich, wenn ich mitfrühstücke, weil ich ihre Buttersemmel schmiere und sie dann nur noch essen muss.
Nach der Arbeit bin ich noch zu dir rein, es war ’ne Schwester da, die dir grad den Katheter gewechselt hat. Nicht schön, mein Freund. Ich hab derweil vor der Tür gewartet. Der Schnauzbart ist vorbeigegangen und hat an seinem Bart gezwirbelt. Auf einmal ist er stehen geblieben, umgekehrt und direkt auf mich zu. Er hat mich gefragt, ob wir beide verwandt sind. »Nein«, hab ich gesagt, »nur gute Freunde.«
»Nur gute Freunde, was?«, hat er nach einer Weile
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