Hannes - Falk, R: Hannes
mein Freund. Aber reagiert hast du nicht, auf gar nichts. Zumindest nicht in meiner Anwesenheit. Und seien wir mal ehrlich, Hannes, wenn du auf das Stuhl-Gescheppere nicht reagierst, worauf denn sonst? Hab deine Mutter dann runtergeschickt in die Cafeteria und gesagt, sie soll sich ’nen schönen Kaffee holen und sich etwas ausruhen. Hat sie auch gemacht. Sie hat heute auch viel besser ausgesehen als die letzte Zeit, hatte rote Wangen. Vermutlich von der Aufregung, weil du reagiert hast. Hatte also doch was Gutes. Als sie weg war, hab ich mich auf deine Bettkante gesetzt und dir die Sportseiten aus der Zeitung vorgelesen. Auch die Eishockey-Ergebnisse der gestrigen Dienstagsspiele, und darauf hast du auch nichtreagiert. Ich hab dann deine Hand genommen, hochgehoben und fallen lassen. Sie ist auf die Bettdecke geknallt wie ein Stein. Von wegen Reaktion. Wenn ich dran denke, wie du mich beim Armdrücken immer genervt hast. Hatte selten eine Chance gegen dich. Und jetzt fällt dein Arm kraftlos zurück in seine ursprüngliche Position, ohne irgendeine Gegenwehr. Mensch, Hannes. Hab dann die Sportberichte weitergelesen. Irgendwann ist deine Mutter zurückgekommen und hat gesagt, ich solle doch mal was Poetisches vorlesen; so Schiller oder Goethe oder irgendetwas Melodisches und nicht die Eishockey-Ergebnisse. Musste aber dringend zur Arbeit, war eh spät dran.
Meine erste Nachtschicht war tatsächlich ruhig. Es ist praktisch nix passiert, worauf ich nicht vorher schon von Walrika aufmerksam gemacht worden wäre. Ja, die kennt halt ihre Pappenheimer. Tatsächlich ist die Frau Stemmerle aufgewacht, so um halb drei, und hat geklingelt. Als ich zu ihr kam, hat sie mich gebeten nachzusehen, ob ihre Enkelin im Zimmer sei. Man muss immer sehr laut reden, weil sie schlecht hört, und man kann sie kaum verstehen, weil nachts ihre Zähne im Glas sind. Als ich ihr schließlich erläutert hab, niemand sonst außer uns beiden wär im Zimmer, hat sie gesagt, dass sie die Jasmin umgebracht hat (ist wohl ihre Enkelin). Sie hat am ganzen Leib gezittert und ihre runzligen Hände waren eiskalt. Hab ihr die dann gerieben, ganz leicht, bis mir der linke Fuß eingeschlafen ist (bin auf ihrer Bettkante gesessen). Ich bin aufgestanden und jetzt war sie ganz ruhig. Ich war mir ehrlich gesagt nicht ganz sicher, ob sie mir nur bis zum Frühstück oder für immer weggedöst ist, und habe mit meinem Ohr kurz anihrem Mund gelauscht. Aber sie hat schon noch geschnauft. Das war dann auch schon alles für diese Nacht.
Am Morgen hab ich der Walrika noch beim Frühstückmachen geholfen und musste anschließend die Insassen (Walrika nennt sie »Gäste«, und ich werde mich hüten, ihr von meinen »Insassen« zu erzählen), also die Walrika hat mich gebeten, die Gäste zu wecken und in den Frühstücksraum zu beordern oder gegebenenfalls zu begleiten. Ich sag dir eines, das war die schwierigste Aufgabe bislang überhaupt. Man könnte ja meinen, die hätten um neun, halb zehn Nachtruhe, wären ausgeschlafen und kämen dann morgens flott aus den Puschen. Weit gefehlt! Da musst du rütteln und schütteln und singen und ringen – ha –, ein Affenzirkus! Natürlich nicht alle. Einige der Insassen, genau genommen zwei, sitzen schon lange am Frühstückstisch, sehr lange, frisch gewaschen, topfit und können es kaum erwarten, dass wir mit den Rollwägen anrollen. Aber alle anderen krallen sich in ihren Federn fest, als würden wir sie für den Henker holen. Du siehst, die Späße, die wir im Vorfeld über meine Arbeit hier gemacht haben, haben die Thematik längst noch nicht ausgeschöpft, und ich finde hier den besten Nährboden für neue. Ich hau mich jetzt aufs Ohr, um abends dann fit zu sein. Um in mein weißes Kittelchen zu springen – das mir übrigens ausgezeichnet steht und mich sehr autoritär wirken lässt.
Freitag, 31.03.
Mensch, Hannes, das Frühjahr beginnt und du liegst da und rührst dich nicht. Als ich heut früh mit dem Radl heimgefahrenbin, hat es schon überall nach Frühling gerochen. Und du weißt ja, ist der Frühling erst da, ist auch der Sommer nicht mehr weit. Und das wäre der erste Sommer für mich seit einundzwanzig Jahren, den ich ohne dich verbringe. Mir graust davor.
Gestern hab ich’s nicht mehr zu dir geschafft, habe verpennt. Hab dann vom Vogelnest aus bei dir zu Hause angerufen, in der Hoffnung, dein Vater geht ran. War aber nicht so. Und als ich die weinerliche Stimme von deiner Mutter hörte, hab ich
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