Hanni und Nanni sind immer zur Stelle
anderen holten jetzt ihr Französischbuch hervor. Sie wollten Mamsell nicht noch mehr verärgern.
Alina sah verunsichert über die gesenkten Köpfe hinweg. War sie zu weit gegangen? Hatte sie durch die Schummelei ihre neuen Freundinnen schon wieder verloren?
Mamsell ging nicht zu Frau Theobald, um dafür zu sorgen, dass Alina nicht mehr am Unterricht teilnehmen durfte.
Und Jenny erklärte Alina: „Mach dir keine Sorgen wegen des Spickzettels. Schließlich haben wir alle schon mal geschummelt. Weißt du noch, Bobby? Als wir bei Mamsell die fertige Französischarbeit einfach an die Tafel geschrieben haben, die wir dann nur noch abzuschreiben brauchten?“
„Ob Mamsell sich aufregt oder nicht, ist mir sowieso komplett egal“, behauptete Alina.
Bobby kicherte. „Ja! Die Arbeit damals … Es ging um irgendeinen verstaubten französischen Dichter. Wie hieß der noch mal?“
„Colbert oder so?“, überlegte Jenny. „Nein, warte: Es war etwas mit F … Ist ja auch egal. Jedenfalls hat auch Hilda die fertige Arbeit von der Tafel abgeschrieben und deswegen kein schlechtes Gewissen gehabt. Überhaupt hat Mamsell sich früher nicht so angestellt wegen eines lächerlichen Spickzettels. Ich habe seit der fünften Klasse Französisch bei ihr. Also, wenn ihr mich fragt: Mamsell hat ihren Humor verloren.“
Bobby stand plötzlich ein lustiges Glitzern in den Augen. „Wisst ihr, was ich glaube? Ich glaube, unserer guten alten Mamsell fehlt bloß das Training.“
Alina und Jenny kicherten bereits voller Vorfreude.
„Und deswegen“, fuhr Bobby fort, „deswegen sollten wir sie mal wieder mit einem lustigen Streich überraschen. Was meint ihr?“
Jenny grinste breit. „Und ich habe auch schon eine Idee. Ich sage nur Krabbelei.“ Mamsell konnte sich jedes Mal furchtbar aufregen, wenn irgendetwas vor ihrer Nase kreuchte und fleuchte.
Alina bekam glänzende Augen. Ein Krabbeltier! Hübsche Idee!
„Es sollte aber nicht noch mal etwas so Gefährliches sein wie die Giftviper“, mahnte Bobby.
„Giftviper?“, fragte Alina neugierig.
Jenny und Bobby mussten grinsen, als sie daran dachten. Jenny hatte in Französisch einmal eine Gummischlange versteckt, und Mamsell war fast aufs Pult gesprungen vor Angst. Kurze Zeit später war dann leider im Unterricht eine echte Giftviper aufgetaucht …
Alina lachte hell heraus. „Schade, dass ich da nicht dabei war!“
„Ein kleiner, harmloser Streich“, überlegte Jenny. „Etwas, über das sie zuletzt selber lacht. So müssten wir Mamsell wieder hinbekommen.“
Alina fühlte sich durch Jennys und Bobbys Aufmunterungsversuche etwas getröstet. Trotzdem nahm sie sich fest vor, sich in Zukunft nicht mehr so unklug zu verhalten. Nie wieder durfte die ganze Klasse mitbekommen, dass sie spickte. Alle glaubten, dass Alina ein selbstbewusstes, lockeres Mädchen war. Dabei ahnte niemand, wie es wirklich in ihr aussah.
Mamsell stand am Fenster ihres Zimmerchens und sah gedankenverloren in die weite Parkanlage hinaus. Würden dies ihre letzten Wochen in Lindenhof sein?
Nein, sie würde wegen Alina nicht zur Direktorin gehen. Was war schon passiert? Eine Schülerin hatte geschummelt. Und sie hatte der Klasse eine Stillarbeit aufgegeben.
Was aus Alina werden würde, darauf hatte sie sowieso keinen Einfluss.
Viel schlimmer war, dass ihr alles zu viel wurde. Die Ohren machten ihr auch mal wieder Sorgen. Sie hörte nachts schon wieder seltsame Geräusche. Schritte, ein Stöhnen. Alles deutliche Zeichen von Überforderung, stellte Mamsell besorgt bei sich fest. Nein. Hier war ihre Geschichte mit Lindenhof zu Ende. Sie wusste nur noch nicht, wie sie das Frau Theobald klarmachen sollte.
Natürlich taten Kira, Sarah und ihre Freundinnen aus der Ersten nicht, was sie Hanni und Nanni versprochen hatten. Die Zwillinge ahnten ja nicht, was auf dem Flur der Erstklässlerinnen los war. Nachts war vor den Türen ein seltsames Scharren und Schnaufen zu vernehmen. Glücklich waren diejenigen, die schliefen und von dem unheimlichen Zauber nichts mitbekamen. Die anderen zogen angstvoll die Decke bis ans Kinn und lauschten in die Dunkelheit.
Vielleicht hätte eins der Mädchen mehr Mut gehabt, wenn Kira bei ihrem tapferen Vorstoß nicht der eilige Schatten begegnet wäre. So rätselten die Mädchen weiter und fürchteten sich.
Am Ende war es gar kein Mensch, der da schnaufte, meinte die sachliche Gladys. Sondern der Wind, der vor den Fenstern des Internats in die Zweige fuhr und die Äste bog.
Weitere Kostenlose Bücher