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Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Titel: Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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seinem schwarzen Wasser bedeutete Hannibal sehr viel. Er stand für Konstanz; die Wolken, die sich auf der Wasseroberfläche spiegelten, zogen still und gleichmäßig über die Türme von Burg Lecter hinweg, wie sie das seit jeher getan hatten.
    Über seiner Waisenhausuniform trug Hannibal das Strafhemd, auf dem ›Keine Spiele‹ geschrieben stand. Es machte ihm jedoch nichts aus, nicht am Fußballspiel auf der Wiese am Fuß der Burgmauer teilnehmen zu dürfen. Als das Zugpferd Cesar mit einer Wagenladung Feuerholz die Wiese überquerte, musste das Spiel unterbrochen werden. Cesar freute sich immer, wenn Hannibal zu ihm in den Stall kam, aber das Pferd mochte keine Steckrüben.
    Hannibal beobachtete, wie die schwarzen Schwäne auf dem Burggraben angeschwommen kamen. Das Paar, das den Krieg überlebt hatte, wurde von zwei flaumigen Jungschwänen begleitet. Einer hockte noch auf dem Rücken der Mutter, der andere paddelte eifrig hinter ihr her.
    Drei ältere Jungen aus dem Waisenhaus spähten oben auf der Böschung durch die Hecke, um Hannibal und die Schwäne zu beobachten.
    Das Männchen stieg aus dem Wasser, um Hannibal zu attackieren.
    Ein blonder Junge, er hieß Fedor, flüsterte den anderen oben auf der Böschung zu: »Jetzt passt mal auf, wie dieser dämliche schwarze Vogel den Trottel verprügelt – er macht ihn bestimmt genauso zur Schnecke wie euch, als ihr ihm die Eier klauen wolltet. Mal sehen, ob der stumme Trottel wenigstens flennen kann.«
    Hannibal hob einfach die Weidengerten, die er in den Händen hielt, und der Schwan trollte sich wieder ins Wasser.
    Enttäuscht zog Fedor eine Schleuder, die er aus einem roten Fahrradschlauch gebastelt hatte, aus seinem Hemd und legte einen Stein in die Schlinge. Der Stein schlug in den Schlamm am Rand des Grabens ein und bespritzte Hannibals Beine. Hannibal blickte mit ausdrucksloser Miene zu Fedor auf und schüttelte den Kopf. Der nächste Stein, den Fedor abschoss, klatschte neben dem schwimmenden jungen Schwan ins Wasser. Hannibal hob seine Weidengerten und scheuchte die Schwäne laut zischend außer Reichweite der Schleuder.
    Aus der Burg ertönte eine Glocke. Fedor und seine Freunde wandten sich lachend ab. Hannibal riss eine Pflanze aus, stürmte die Böschung hoch und schlug Fedor mit dem dicken Erdklumpen an den Wurzeln mit voller Wucht ins Gesicht. Obwohl er einen Kopf kleiner war als der andere, stürzte er sich anschließend auf ihn und stieß ihn die steile Böschung hinunter. Dann rannte er dem völlig verdutzten Jungen hinterher und schubste ihn ins Wasser. Fedor versuchte verzweifelt, ans Ufer zu klettern, aber Hannibal sprang ihm hinterher, drückte seinen Kopf unter Wasser und drosch mit dem Griff der Steinschleuder immer und immer wieder auf seinen Nacken. Seine Miene blieb dabei seltsam ausdruckslos, nur die Augen waren voller Leben, sein Gesichtsfeld an den Rändern rot. Dann versuchte Hannibal, Fedor herumzudrehen, um an sein Gesicht heranzukommen.
    Fedors Freunde rutschten die Böschung herab, aber da sie nicht im Wasser kämpfen wollten, riefen sie einen Aufseher zu Hilfe. Oberaufseher Petrow eilte mit seinen Kollegen fluchend zum Burggraben, machte sich seine blitzblanken Stiefel schmutzig und bekam Schlamm auf den Knüppel, der auf Hannibal hinuntersauste.

    Es war Abend in der großen Halle von Burg Lecter, die mittlerweile ihres ganzen Prunks beraubt und von einem großen Porträt Josef Stalins beherrscht war. Hundert Jungen in Anstaltsuniform standen nach dem Abendessen in Reih und Glied an primitiven Brettertischen und sangen die Internationale. Der leicht betrunkene Heimleiter dirigierte den Gesang mit seiner Gabel.
    Der vor Kurzem neu eingesetzte Oberaufseher Petrow und sein Stellvertreter, beide in Reithosen und Stiefeln, gingen an den Tischen entlang und kontrollierten, dass jeder mitsang. Hannibal sang nicht mit. Seine linke Gesichtshälfte war blau verfärbt, das Auge halb zugeschwollen. Vom Nachbartisch sah Fedor zu ihm herüber. Er hatte einen Verband um den Hals und Kratzer im Gesicht. Einer seiner Finger war geschient.
    Die Aufseher blieben vor Hannibal stehen. Der Junge verbarg eine Gabel in seiner Handfläche.
    »Bist du dir zu fein dafür, mit uns zu singen, kleiner Herr?« sprach ihn Oberaufseher Petrow an. »Nur bist du hier nicht mehr der kleine Herr, sondern bloß ein Waisenjunge unter vielen, und deshalb wirst du jetzt schön brav mitsingen!«
    Der Oberaufseher schlug ihm mit seinem Schreibbrett ins Gesicht. Hannibal

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