Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Titel: Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
Vom Netzwerk:
verzog keine Miene und begann auch nicht zu singen. Aus seinem Mundwinkel troff Blut.
    »Er ist stumm«, sagte der zweite Aufseher. »Es hat keinen Sinn, ihn zu schlagen, weil er nicht mitsingt.«
    Das Lied endete, und Petrows Stimme tönte laut durch die plötzliche Stille. »Für einen Stummen kann er aber nachts ganz schön laut schreien!« Er holte mit der Hand aus. Hannibal fing den Schlag mit der Gabel in seiner Faust ab. Die Zinken gruben sich in die Fingerknöchel des Oberaufsehers. Rasend vor Wut kam Petrow um den Tisch herum.
    »Halt! Keine weiteren Schläge! Ich möchte nicht, dass irgendwelche Spuren Zurückbleiben.« Der Heimleiter mochte betrunken sein, aber er führte hier das Kommando. »Hannibal Lecter, du meldest dich nach dem Essen in meinem Büro.«

    Die Einrichtung des Büros des Heimleiters bestand aus einem Schreibtisch aus Armeebeständen, zahlreichen Akten und zwei Feldbetten. Hier fiel Hannibal der veränderte Geruch der Burg am meisten auf. An die Stelle des dezenten Dufts von Parfüm und Limonenöl-Möbelpolitur war der kalte Gestank von Pisse im Kamin getreten. Die Fenster waren kahl, die Holzschnitzereien der einzige noch verbliebene Schmuck.
    »Hannibal, war das hier das Zimmer deiner Mutter? Irgendwie hat es eine feminine Ausstrahlung.«
    Der Heimleiter war unberechenbar. Er konnte nett sein – oder gemein, wenn seine Misserfolge ihm zusetzten. Seine kleinen Augen waren rot, und er wartete auf eine Antwort.
    Hannibal nickte.
    »Es muss schwer für dich sein, in diesem Haus zu leben.«
    Keine Reaktion.
    Der Heimleiter griff nach einem Telegramm auf dem Schreibtisch. »Du wirst nicht länger bei uns bleiben. Dein Onkel kommt dich abholen. Er nimmt dich nach Frankreich mit.«

11

    Das Feuer im Küchenherd, das durch die offene Ofenklappe leuchtete, war die einzige Lichtquelle. Aus dem Dunkel beobachtete Hannibal den Helfer des Kochs, der, neben sich ein leeres Glas, auf einem Stuhl am Feuer saß und schlief. Aus seinem Mundwinkel troff Speichel. Hannibal hatte es auf die Laterne abgesehen, die auf einem Bord direkt hinter dem Mann stand. Er konnte ihren Glaskolben im Feuerschein funkeln sehen.
    Der röchelnde Atem des Mannes ging tief und regelmäßig. Vorsichtig schlich Hannibal über den Steinboden in die Wodka-und-Zwiebel-Aura des Küchenhelfers und blieb dicht hinter ihm stehen.
    Wenn er die Laterne an ihrem Haltebügel aus Draht herunternahm, war die Gefahr groß, dass das Metall quietschte. Besser, er griff sie an ihrem Fuß und an der Spitze und hielt den Kolben fest, damit er nicht klapperte.
    Er war gerade dabei, die Laterne behutsam vom Bord zu heben, als ein lautes Knacken ertönte. Ein Holzscheit im Herd war zischend geplatzt, und durch die offene Herdklappe sprangen Funken und kleine Kohlestückchen. Eines davon landete im Filzfutter von einem der Stiefel des Küchenhelfers.
    Hannibal sah sich hastig um. Auf der Arbeitsplatte stand eine 150-mm-Granathülse, die als Behälter für Kochlöffel und Schaber diente. Hannibal stellte die Laterne ab, griff nach einem Kochlöffel und schnippte das Kohlestückchen damit vom Stiefel des Manns.
    Die Tür zur Kellertreppe war in der Ecke neben dem Herd. Als Hannibal sie berührte, öffnete sie sich lautlos. Er trat in das undurchdringliche Dunkel dahinter und blieb auf dem Treppenabsatz stehen. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, riss er an der Wand ein Streichholz an, entzündete damit die Laterne und stieg die Treppe hinunter. Die Luft wurde von Stufe zu Stufe kühler. Der Schein der Laterne sprang von Gewölbe zu Gewölbe, als er unter den niedrigen Bögen hindurch zum Weinkeller ging. Das Eisengitter stand offen.
    Den Platz der geplünderten Weinflaschen in den Regalen hatte Wurzelgemüse, hauptsächlich Steckrüben, eingenommen. Hannibal nahm sich vor, ein paar Zuckerrüben einzustecken, die Cesar in Ermangelung von Äpfeln fraß, auch wenn sie seine Lippen rot färbten, als trüge er Lippenstift.
    Während der Zeit im Waisenheim, in der er mit ansehen musste, wie sein Zuhause verschandelt, wie alles gestohlen, konfisziert und heruntergewirtschaftet wurde, war er kein einziges Mal hier gewesen. Hannibal stellte die Laterne auf ein hohes Bord und zog mehrere Säcke mit Kartoffeln und Zwiebeln von den Weinregalen an der Rückwand weg. Er stieg auf den ehemaligen Verkostungstisch, griff nach dem Leuchter und zog daran. Nichts. Er packte ihn mit beiden Händen und hängte sich mit seinem ganzen Gewicht daran. Jetzt gab

Weitere Kostenlose Bücher