Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising
zusammengepferchten Insassen zu einem erbarmungslosen Tod in den Arbeitslagern Sibiriens oder zu einem elenden Dasein in den Flüchtlingslagern des Westens. Unter diesen verzweifelten Deportierten fand Grutas einen unerschöpflichen Vorrat an Frauen und Jungen.
Grutas stand hinter seinen Produkten. Sein Morphium aus medizinischen Beständen in Deutschland erfüllte höchste Reinheitskriterien. Er lieferte AC/DC-Konverter für Schwarzmarkthaushaltsgeräte und nahm an seiner menschlichen Ware alle mentalen Anpassungen vor, die für deren reibungsloses Funktionieren erforderlich waren.
Grutas dachte kurz nach. Dann fragte er: »War dieser Svenka an der Front?« Er konnte sich nicht vorstellen, dass für diese Aufgabe jemand ohne Ostfront-Erfahrung geeignet wäre.
Kolnas zuckte mit den Achseln. »Am Telefon hört er sich ziemlich jung an. Aber Dortlich hat bestimmt dafür gesorgt, dass trotzdem alles klappt.«
»Wir werden jetzt gleich alles aus Litauen rausholen. Um es zu verkaufen, ist es zwar noch zu früh, aber wir müssen es unbedingt herausschaffen. Wann ruft dieser Svenka wieder an?«
»Am Freitag.«
»Sag ihm, er soll die Sachen auf der Stelle außer Landes schaffen.«
»Er wird auch rauswollen. Und dafür benötigt er selbstverständlich Papiere.«
»Wir könnten ihn nach Rom schaffen, denn hier haben wir eigentlich keine Verwendung für ihn«, meinte Grutas. »Versprich ihm irgendwas.«
»Bei diesen Kunstwerken handelt es sich um höllisch heiße Ware«, gab Kolnas zu bedenken.
»Geh zurück in dein Restaurant, Kolnas. Füttere weiterhin kostenlos die Flics, und sie werden auch in Zukunft deine Strafzettel zerreißen und wegschmeißen. Bring nächstes Mal ein paar Windbeutel mit, wenn du wieder hier aufkreuzt und uns die Ohren volljammerst.«
Nachdem Kolnas gegangen war, sagte Grutas zu Milko: »Er ist schon in Ordnung.«
»Hoffentlich«, sagte Milko. »Jedenfalls habe ich keine Lust, ein Restaurant zu führen.«
»Dieter! Wo steckt Dieter schon wieder?« Grutas hämmerte auf dem Unterdeck gegen eine Tür, dann riss er sie auf.
In der Kabine saßen zwei verängstigte junge Frauen, jede mit dem Handgelenk an den Metallrahmen ihres Klappbetts gekettet. Dieter, ein Kerl Mitte zwanzig, hielt eine von ihnen brutal an den Haaren gepackt.
»Wenn du sie so hart anfasst, dass sie blaue Flecken kriegen und ihre Lippen aufplatzen, sind sie nicht mehr so viel wert« sagte Grutas. »Und die da gehört jetzt mir.«
Dieter ließ das Haar des Mädchens los und kramte in seinen Taschen nach einem Schlüssel. »Eva!«
Die ältere Frau, die Grutas vorhin pedikürt hatte, kam in die Kabine und drückte sich gleich neben der Tür an die Wand.
»Mach die da ein bisschen zurecht«, sagte Dieter. »Danach bringt Müller sie ins Haus.«
Grutas und Milko gingen durch das Lagerhaus zum Auto. In einem mit einem Seil abgetrennten Bereich, in dem ausschließlich Kisten mit der Aufschrift ›Haushalt‹ standen, entdeckte Grutas unter den Elektrogeräten einen englischen Kühlschrank.
»Weißt du übrigens, warum die Engländer warmes Bier trinken, Milko? Weil sie Lucas-Kühlschränke haben. Mir kommt so ein Schrottteil nicht ins Haus. Wenn, dann will ich einen Kelvinator oder einen Frigidaire, einen Magnavox oder einen Curtis-Mathis. Ich will nur Geräte, die in Amerika hergestellt wurden.«
Grutas hob die Decke von einem Klavier, das dort stand, und spielte ein paar Töne. »Ein richtiger Puffklimperkasten. Darauf kann ich auch gern verzichten. Kolnas hat einen Bösendorfer für mich aufgetrieben. Ein Spitzeninstrument. Hol den Flügel in Paris ab, Milko ... wenn du die andere Sache erledigst.«
47
Da sie wusste, dass Hannibal nicht zu ihr käme, bevor er sich gewaschen und zurechtgemacht hätte, wartete Lady Murasaki in seinem Zimmer auf ihn. Hannibal hatte sie nie dorthin eingeladen. Sie schnüffelte nicht herum, sah sich nur die Zeichnungen an den Wänden an, die anatomischen Studien, die eine Hälfte des Zimmers einnahmen. Dann streckte sie sich in der perfekten Ordnung der japanischen Mansardenhälfte auf seinem Bett aus.
Auf einem schmalen Bord gegenüber dem Bett stand ein gerahmtes Bild, das von einem mit Nachtreihern bestickten Seidentuch zugedeckt war. Lady Murasaki streckte die Hand danach aus und hob die Seide ein Stück an. Darunter verbarg sich eine wunderschöne Zeichnung von ihr, nackt im Bad des Château s, Bleistift und Kreide, mit Pastell getönt. Signiert war die Zeichnung mit dem Siegelstempel
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