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Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Titel: Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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»Ewigkeit in acht Pinselstrichen« sowie mit nicht ganz korrekten japanischen Schriftzeichen im Grasstil, die »Wasserblumen« bedeuteten.
    Lady Murasaki sah die Zeichnung lange an, dann ließ sie das Seidentuch wieder sinken und schloss die Augen. Ihr ging ein Gedicht von Yosano Akiko durch den Kopf:

    Unter den Noten meiner Koto ist ein anderer,
    Zutiefst geheimnisvoller Ton,
    Ein Klang, der aus dem Innern
    Meiner eigenen Brust kommt.

    Am zweiten Tag, kurz nach Tagesanbruch, hörte sie Schritte auf der Treppe. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, und dann stand Hannibal in der Tür. Er sah abgerissen und müde aus und hielt in seiner Hand einen Rucksack.
    Lady Murasaki hatte sich vom Bett erhoben.
    »Hannibal, ich muss dein Herz hören«, sagte sie. »Roberts Herz ist verstummt. Und in meinen Träumen hat auch dein Herz zu schlagen aufgehört.« Sie ging auf ihn zu und legte ihr Ohr auf seine Brust. »Du riechst nach Rauch und Blut.«
    »Sie riechen nach Jasmin und grünem Tee. Sie riechen nach Frieden.«
    »Bist du verletzt?«
    »Nein.«
    Ihr Gesicht berührte die versengten Hundemarken, die von Hannibals Hals hingen. Sie zog sie unter seinem Hemd hervor.
    »Hast du die den Toten abgenommen?«
    »Welchen Toten?«
    »Die sowjetische Polizei weiß, wer du bist. Inspektor Popil war bei mir. Wenn du unverzüglich zu ihm gehst, wird er dir helfen.«
    »Diese Männer sind nicht tot. Sie sind sehr lebendig.«
    »Sind sie in Frankreich? Wenn ja, dann liefere sie Inspektor Popil aus.«
    »Die Männer der französischen Polizei ausliefern? Warum?« Er schüttelte den Kopf. »Morgen ist doch Sonntag – oder?«
    »Ja.«
    »Kommen Sie morgen mit mir. Ich hole Sie zu Hause ab. Ich möchte, dass Sie sich mit mir eine Bestie anschauen und mir dann sagen, ob sie die französische Polizei fürchtet.«
    »Inspektor Popil ...«
    »Wenn Sie Popil sehen, sagen Sie ihm, ich habe Post für ihn.«
    »Wo wäschst du dich?«
    »In der Dusche unten in der Anatomie – falls sie gerade funktioniert. Dorthin werde ich jetzt runtergehen.«
    »Möchtest du etwas essen?«
    »Nein, danke.«
    »Dann schlaf«, sagte sie. »Ich werde morgen mit dir kommen. Und auch an den Tagen danach.«

48

    Hannibal Lecters Motorrad war eine BMW mit Zweizylinder-Boxermotor, die von der deutschen Wehrmacht auf dem Rückzug zurückgelassen worden war. Sie war schwarz gespritzt und hatte einen tiefen Lenker und einen Beifahrersitz. Lady Murasaki saß hinter Hannibal, und ihr Stirnband und die Stiefel ließen sie wie einen Pariser Apachen aussehen. Ihre Hände lagen leicht auf seinen Rippen, als sie sich an Hannibal festhielt.
    In der Nacht war Regen gefallen, aber jetzt, am sonnigen Morgen, war der Straßenbelag trocken und griffig, als sie sich auf der Straße durch den Wald von Fontainebleau in die Kurven legten und durch das Streifenmuster aus Baumschatten und Sonnenlicht brausten. Die Luft, die in den Senken hing, war kühl, aber sobald sie durch offene Wiesen fuhren, streifte sie warm ihre Gesichter.
    Der Beifahrer auf dem Sozius empfindet in Kurven den seitlichen Neigungswinkel des Motorrads grundsätzlich stärker als der Fahrer, und auf den ersten Kilometern spürte Hannibal, wie Lady Murasaki sich hinter ihm dagegenzulehnen versuchte, aber schon nach Kurzem bekam sie den Dreh heraus, die letzten fünf Grad waren ohnehin reine Vertrauenssache, und ihr Gewicht wurde eins mit seinem, als sie durch den Wald fuhren. Sie kamen an einer in voller Blüte stehenden Geißblatthecke vorbei, und die Luft war so süß, dass sie sie auf ihren Lippen schmecken konnten. Heißer Asphalt und Geißblatt.
    Das Café de l’Est lag am Westufer der Seine, einen knappen Kilometer von dem Dorf Fontainebleau entfernt, mit einem herrlichen Blick auf die Waldlandschaft am anderen Flussufer. Das Motorrad verstummte, nur der abkühlende Motor tickte noch leise vor sich hin.
    Am Eingang zur Terrasse des Cafés befand sich eine Voliere, und die Vögel darin waren Gartenammern, eine Spezialität des Restaurants, von der jedoch offiziell niemand etwas wissen durfte. Erlasse gegen den Verzehr von Gartenammern kamen und gingen. Auf der Speisekarte waren sie als Lerchen aufgeführt. Die Gartenammern, auch als Ortolane bekannt, hervorragende Sänger, genossen den Sonnenschein.
    Hannibal und Lady Murasaki blieben vor der Voliere stehen, um die Vögel zu betrachten.
    »So klein, so schön«, sagte sie, von der Motorradfahrt immer noch erhitzt.
    Hannibal legte seine Stirn an den Käfig. Die

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