Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising
kleinen Vögel drehten die Köpfe, um ihn, immer nur mit einem Auge, anzusehen. Sie sangen in dem baltischen Dialekt, den er aus den Wäldern seiner Heimat kannte. »Sie sind wie wir«, sagte er. »Sie können riechen, wie die anderen gekocht werden, und trotzdem versuchen sie zu singen. Kommen Sie.«
Etwa drei Viertel der Tische auf der Terrasse waren besetzt, eine Mischung aus Land- und Stadtbevölkerung in Sonntagskleidung bei einem frühen Mittagessen. Der Kellner fand einen Tisch für sie.
Ein Nebentisch, an dem nur Männer saßen, hatte ausschließlich Gartenammern bestellt. Als der Kellner die kleinen gebratenen Vögel servierte, beugten sich die Männer tief über ihre Teller und legten die Servietten wie kleine Zelte über die Köpfe der Gartenammern, um das Aroma nicht entweichen zu lassen.
Hannibal roch ihren Wein und fand, dass er korkte. Mit ausdrucksloser Miene beobachtete er, wie sie ihn, ohne es zu merken, trotzdem tranken.
»Möchten Sie vielleicht einen Eisbecher?«
»O ja, das wäre jetzt genau das Richtige.«
Hannibal ging in das Restaurant und blieb vor der Tafel stehen, auf die mit Kreide die Tagesgerichte geschrieben waren, aber sein Interesse galt der Lizenz des Cafés, die in einem schlichten Rahmen neben der Kasse hing.
In dem kurzen Flur, der von der Gaststube abging, war eine Tür mit der Aufschrift › Privé‹. Der Flur war leer. Die Tür war nicht abgeschlossen. Hannibal Öffnete sie. Dahinter ging es in den Keller. Er stieg die Treppe hinab. An ihrem Fuß stand eine große, halb offene Kiste mit einer amerikanischen Geschirrspülmaschine. Hannibal bückte sich, um einen Blick auf den Lieferschein zu werfen.
Im selben Moment ging oben die Tür auf, und Hercule, der Küchengehilfe, kam mit einem Korb schmutziger Servietten die Treppe herunter. »Was machen Sie denn hier? Haben Sie nicht das Schild an der Tür gesehen? Das ist hier privat.«
Hannibal richtete sich auf und antwortete auf Englisch: »Ich dachte, hier ginge es zur Toilette. Aber anscheinend bin ich nur im Keller gelandet. Die Toilette, das Klo, das Pissoir j|j können Sie mir vielleicht sagen, wo es ist? Sprechen Sie Englisch? Verstehen Sie? Klo, Toilette? Bitte, sagen Sie schnell, ich muss nämlich sehr dringend.«
»Hier privé , privé!« Hercule deutete die Treppe hinauf und dann nach rechts. »Toilette!«
Als Hannibal an ihren Tisch zurückkam, hatte der Kellner gerade die Eisbecher gebracht. »Kolnas nennt sich hier Kléber. Das ist jedenfalls der Name, der auf der Lizenz steht. Monsieur Kléber, wohnhaft in der Rue Juliana. Apropos, wenn man vom Teufel spricht ...«
Petras Kolnas betrat mit seiner Familie die Terrasse des Restaurants. Alle waren für den sonntäglichen Kirchgang gekleidet. Die Unterhaltungen um Hannibal herum klangen plötzlich seltsam verzerrt und verschwommen, und durch sein Gesichtsfeld schwirrten dunkle Flecken.
Kolnas’ Anzug war aus feinstem schwarzem Tuch, an seinem Revers steckte eine Nadel des Rotary Clubs. Er hatte eine attraktive Frau und zwei hübsche Kinder, beide mit einem teutonischen Einschlag, Die kurzen roten Haare von Kolnas’ Koteletten schimmerten in der Sonne wie Schweineborsten. Kolnas ging zur Registrierkasse. Er hob seinen Sohn auf einen Barhocker.
»Kolnas, der Neureiche«, sagte Hannibal. »Der Restaurantbesitzer. Der Gourmand, der auf dem Weg zur Kirche noch einen Blick in die Kasse werfen will. Richtig arriviert.«
Der Oberkellner nahm das Reservierungsbuch von seinem Platz neben dem Telefon und schlug es auf, damit Kolnas hineinsehen konnte.
»Beziehen Sie uns in der Kirche in Ihre Gebete mit ein, Monsieur«, sagte der Oberkellner.
Kolnas nickte und drehte sich mit seinem breiten Körper zur Wand, sodass niemand den Webley-Revolver Kaliber .455 sehen konnte, den er aus seinem Hosenbund zog und hinter den Vorhang des Regals unter die Kasse legte. Nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte, strich er seine Weste glatt, suchte zwei besonders glänzende Münzen aus der Kasse und polierte sie mit seinem Taschentuch. Eine davon gab er seinem Sohn auf dem Barhocker. »Die ist für die Kollekte, wenn sie den Klingelbeutel rumgehen lassen. Steck sie ein.«
Er beugte sich zu seiner kleinen Tochter hinab und gab ihr die andere. »Da, damit du auch was in den Klingelbeutel werfen kannst, mein Schatz. Aber dass du sie mir nicht in den Mund nimmst. Steck sie schön in deine Tasche!«
Dann wurde Kolnas von ein paar Trinkern an der Bar in Beschlag genommen, und es
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