Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising
Orangen.
Die Arme bereits voll mit Einkäufen, blieb sie vor dem Blumengeschäft stehen. Nein, Blumen brächte bestimmt Hannibal mit.
Hannibal brachte Blumen mit. Tulpen und Casablanca-Lilien und Farne in einem hohen Gesteck, das auf dem Sozius seines Motorrads stand. Zwei junge Frauen, die gerade die Straße überquerten, riefen ihm zu, die Blumen sähen aus wie ein Hahnenschwanz. Er zwinkerte ihnen zu, als die Ampel auf Grün schaltete, und brauste mit einem erhebenden Gefühl in der Brust los.
Hannibal stellte die BMW in der Durchfahrt neben Lady Murasakis Haus ab und ging mit den Blumen um die Ecke zum Eingang. Er winkte gerade der Concierge zu, als Inspektor Popil und zwei stämmige Polizisten aus einer Tür kamen und ihn festnahmen. Die Blumen nahm Popil an sich.
»Die sind nicht für Sie«, sagte Hannibal.
»Sie sind verhaftet«, sagte der Inspektor. Als Hannibal Handschellen angelegt wurden, klemmte sich Popil die Blumen unter den Arm.
In seinem Büro am Quai des Orfèvres ließ Inspektor Popil Hannibal zunächst eine halbe Stunde lang allein in der Atmosphäre der Polizeiwache warten. Als er schließlich in sein Büro zurückkam, steckte der junge Mann gerade den letzten Blütenstiel in ein Gesteck in einer Wasserkaraffe auf Popils Schreibtisch.
»Wie gefällt Ihnen das?«, fragte Hannibal.
Inspektor Popil zog ihm mit einem kleinen Gummiknüppel eins über, und Hannibal ging zu Boden.
»Wie gefällt Ihnen das?«, sagte Popil.
Der größere der beiden Polizisten, die ebenfalls in Popils Büro gekommen waren, pflanzte sich über Hannibal auf.
Inspektor Popil sah finster auf ihn herab: »Beantworten Sie jede Frage: Ich habe gefragt, wie Ihnen das gefällt.«
»Es ist ehrlicher als Ihr Händedruck. Und der Knüppel ist wenigstens sauber.«
Popil holte einen Umschlag aus seiner Tasche und zog zwei an einer Schnur aufgefädelte Hundemarken heraus. »Das habe ich in Ihrem Zimmer gefunden. Die Männer, denen sie gehört haben, wurden in Nürnberg in Abwesenheit verurteilt. Frage: Wo sind sie?«
»Das weiß ich nicht.«
»Möchten Sie sie nicht hängen sehen? Wie in England bedient sich der Henker auch bei uns des sogenannten langen Falls, auch wenn dieser nicht so lang ausfällt, dass den Gehängten der Kopf abgerissen wird. Und der Henker kocht und dehnt das Seil auch nicht. Aber sie wippen noch eine ganze Weile wie ein Jojo rauf und runter. Das müsste doch eigentlich so recht nach Ihrem Geschmack sein.«
»Was meinen Geschmack angeht, wissen Sie überhaupt nichts, Monsieur l’Inspecteur.«
»Das Recht spielt für Sie wohl keine Rolle. Sie wollen also unbedingt selbst derjenige sein, der sie umbringt.«
»Wollen Sie das denn nicht auch sein, Monsieur l’Inspecteur? Sie sehen immer zu, wenn sie sterben. Das ist nach Ihrem Geschmack. Glauben Sie, wir könnten unter vier Augen miteinander reden?« Er holte ein blutiges, in Zellophan eingeschlagenes Blatt Papier aus der Tasche. »Sie haben Post von Louis Ferrat.«
Popil bedeutete den Polizisten, das Zimmer zu verlassen.
»Als ich die Kleider von Louis Ferrats Leiche schnitt, fand ich diese Nachricht an Sie.« Hannibal las den Teil oberhalb der Stelle, wo das Blatt Papier gefaltet war, laut vor. »Inspektor Popil, warum quälen Sie mich mit Fragen, die Sie selbst nickt beantworten können? Ich habe Sie in Lyon gesehen, als die Kinder in die Züge verfrachtet wurden ... Und es geht noch weiter.«
Hannibal reichte dem Inspektor das Schreiben. »Wenn Sie es aufklappen wollen, das Papier ist inzwischen trocken. Es riecht auch nicht.«
Das Blatt Papier knisterte, als Popil es auseinanderklappte, und da, wo es gefaltet war, rieselten dunkle Flocken heraus. Als er den Brief zu Ende gelesen hatte, setzte er sich und hielt ihn an seine Schläfe.
»Haben Ihnen einige Ihrer Angehörigen zum Abschied aus dem Puff-Puff-Zug zugewunken?«, fragte Hannibal. »Haben Sie an diesem Tag im Betriebshof den Verkehr geregelt?«
Popil holte mit der Hand aus.
»Das wollen Sie doch nicht wirklich tun«, sagte Hannibal leise. »Wenn ich also etwas über den Verbleib dieser Männer wüsste, warum sollte ich es ausgerechnet Ihnen sagen? Diese Frage ist durchaus berechtigt, Monsieur l’Inspecteur. Sie könnten ihnen helfen, nach Argentinien zu entkommen.«
Popil schloss die Augen und öffnete sie wieder. »Ich habe immer große Stücke auf Pétain gehalten. Mein Vater und meine Onkel haben im Ersten Weltkrieg unter ihm gekämpft. Als er die neue Regierung bildete,
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