Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising
sagte er uns: ›Erhaltet einfach den inneren Frieden aufrecht, bis wir die Deutschen raus werfen. Die Vichy-Regierung wird Frankreich retten.‹ Wir waren bereits Polizisten, wir hielten es für unsere Pflicht.«
»Haben Sie den Deutschen geholfen?«
Popil zuckte mit den Achseln. »Ich habe den Frieden aufrechterhalten. Möglicherweise hat ihnen das geholfen. Dann sah ich einen ihrer Züge. Ich desertierte und schloss mich der Résistance an. Sie vertrauten mir erst, als ich einen Gestapomann umbrachte. In einer Vergeltungsaktion erschossen die Deutschen acht Dorfbewohner. Für mich war es, als hätte ich sie selbst umgebracht. Was war das nur für ein Krieg? Wir kämpften in der Normandie, in den Hecken, und klickten mit diesen Dingern, um uns gegenseitig zu erkennen zu geben.« Er nahm einen Grillenklicker von seinem Schreibtisch. »Wir halfen den Alliierten, von den Brückenköpfen am Strand ins Hinterland vorzudringen.« Er klickte zwei Mal. »Das bedeutete, ich bin ein Freund, nicht schießen ... Die Sache mit Dortlich interessiert mich nicht. Helfen Sie mir, die anderen zu finden. Wie jagen Sie Grutas?«
»Über Verwandte in Litauen. Ich mache mir Beziehungen zunutze, die meine Mutter in Kirchenkreisen hatte.«
»Ich könnte Sie wegen der gefälschten Papiere festsetzen lassen. Mehr als die Aussage des Fälschers wäre dazu nicht nötig. Wenn ich Sie laufen lasse, schwören Sie, mir alles zu sagen, was Sie herausfinden? Werden Sie mir das bei Gott schwören?«
»Bei Gott? Ja, bei Gott schwöre ich es. Haben Sie eine Bibel?« Popil hatte eine Ausgabe der Pensées in seinem Bücherregal. Hannibal nahm sie heraus. »Wir könnten natürlich auch Ihren Pascal nehmen, Pascal.«
»Würden Sie auf Lady Murasakis Leben schwören?«
Ein kurzes Zögern. »Ja, auf Lady Murasakis Leben.« Hannibal griff nach dem Klicker und klickte zwei Mal.
Popil hielt ihm die Hundemarken hin, und Hannibal nahm sie wieder an sich.
Nachdem Hannibal das Büro verlassen hatte, kam Popils Assistent herein. Der Inspektor gab vom Fenster aus ein Zeichen. Sobald Hannibal das Polizeipräsidium verließ, folgte ihm ein Polizist in Zivil.
»Er weiß etwas. Seine Augenbrauen sind versengt. Prüfen Sie nach, wo es in den vergangenen drei Tagen in der Île-de-France gebrannt hat«, trug Popil seinem Assistenten auf. »Wenn er uns zu Grutas führt, werde ich ihn wegen des Mordes an dem Metzger Momund belangen, den er noch als Junge begangen hat.«
»Warum wegen des Metzgers?«
»Das fällt noch unter das Jugendstrafrecht, Étienne, und es ist eine Tat, die er im Affekt begangen hat. Ich will nicht, dass er verurteilt wird, ich will, dass er für geisteskrank erklärt wird. In einer Anstalt können sie ihn gründlich untersuchen und herauszufinden versuchen, was er ist.«
»Was denken Sie denn, was er ist?«
»Hannibal starb als Junge 1945 da draußen im Schnee bei dem Versuch, seine Schwester zu retten. Sein Herz ist mit Mischa gestorben. Sie wollen wissen, was er jetzt ist? Ich würde sagen, dafür gibt es noch kein Wort. In Ermangelung einer besseren Bezeichnung werden wir ihn ein Monster nennen.«
54
In der Pförtnerloge der Concierge in Lady Murasakis Haus an der Place des Vosges brannte kein Licht, und die in der Mitte geteilte Tür mit der Milchglasscheibe war zu. Hannibal schloss mit seinem Schlüssel selbst auf und rannte die Stufen hinauf.
Die Concierge saß in der Pförtnerloge an ihrem Tisch und hatte die Post, nach Mietern geordnet, in kleinen Stapeln vor sich liegen, als legte sie eine Patience. Das Kabel eines Fahrradschlosses hatte sich so tief in das weiche Fleisch ihres Halses gegraben, dass es kaum mehr zu sehen war, ihre Zunge hing weit aus dem Mund.
Hannibal klopfte an Lady Murasakis Tür. In der Wohnung klingelte das Telefon. Es hörte sich seltsam schrill an. Die Tür sprang auf, sobald er den Schlüssel ins Schloss steckte. Er rannte durch die Wohnung, schaute, schaute überall, zuckte innerlich kurz zusammen, als er die Schlafzimmertür aufstieß, aber der Raum war leer. Das Telefon hörte nicht auf zu klingeln. Er nahm den Hörer ab.
In der Küche des Café de l’Est wartete ein Käfig voller Gartenammern darauf, in Armagnac ertränkt und in dem großen Topf mit kochendem Wasser auf dem Herd verbrüht zu werden. Grutas hatte Lady Murasaki am Hals gepackt und hielt ihr Gesicht dicht über das kochende Wasser. In der anderen Hand hatte er den Telefonhörer. Ihre Hände waren auf dem Rücken gefesselt.
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