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Hannibal

Hannibal

Titel: Hannibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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Büros hatte in Fraktur ein Blatt mit der Aufschrift »Hannibals Heim« ausgedruckt und an den verhängten Eingang gepinnt. Aus Furcht, sie könnte das Zimmer verlieren, nahm sie das Blatt ab. Etwa zeitgleich stieß Starling in der Strafrechtsbibliothek am Columbia College auf ein
Pharaonengrab. Nicht nur wurden dort brauchbare Zeugnisse zur Person archiviert, nein, man unterhielt auch einen »HannibalLecter-Raum«. Das College hatte die Originaldokumente aus Lecters Zeit als zugelassener Arzt und Psychiater in seinem Besitz, darüber hinaus die Prozeßmitschriften und Kopien der gegen ihn angestrengten Klagen. Bei ihrem ersten Besuch in der Bibliothek wartete Starling fünfundvierzig Minuten, während die Bibliothekare vergeblich versuchten, die Schlüssel für den Lecter-Raum aufzutreiben. Beim zweitenmal stand ihr als Verantwortlicher ein gleichgültiger Student gegenüber, und die Bestände waren nicht katalogisiert. Starling hatte in ihrem vierten Lebensjahrzehnt, was Geduld anging, keine Fortschritte gemacht. Von Jack Crawford beim Büro des Generalstaatsanwalts unterstützt, erwirkte sie einen Gerichtsbeschluß, der dafür sorgte, daß die komplette Sammlung in ihren Kellerraum in Quantico verbracht wurde. Bundespolizisten führten den Transport mit einem Lieferwagen durch. Der Gerichtsbeschluß schlug, wie Starling befürchtet hatte, hohe Wellen. Schließlich spülten sie auch Krendler in ihren Kellerraum ... Nach zwei schier nicht enden wollenden Wochen hatte Starling den größten Teil der Bibliotheksbestände ihrer provisorischen LecterZentrale in eine brauchbare Ordnung überführt. Freitag. Später Nachmittag. Sie wusch sich den Bücherstaub und Schmutz aus dem Gesicht und von den Händen, schaltete das Oberlicht aus, setzte sich in einer Ecke auf den Boden und ließ ihren Blick über die vielen Regalmeter an Büchern und Papier wandern. Gut möglich, daß sie für einen Moment einnickte. Ein Geruch weckte sie auf, und sie merkte, daß sie nicht allein war. Es war der Geruch von Schuhwichse. Der Raum lag im Halbdunkel. Deputy Assistant Inspector General Paul Krendler schritt langsam, die Bücher und Bilder beäugend, die Regale entlang. Er hatte es nicht für nötig befunden zu klopfen wie hätte er auch an Vorhänge anklopfen sollen? Zudem neigte Krendler ohnehin nicht dazu anzuklopfen, ganz besonders dann nicht, wenn es sich um ihm nachgeordnete Behörden handelte. Hier, in diesem Keller in Quantico, suchte er aus seiner Sicht zweifellos die Slums auf. Eine Wand des Zimmers war Lecter in Italien gewidmet und zeigte ein großformatiges Foto von Rinaldo Pazzi, wie er mit baumelnden Eingeweiden vom Balkon des Palazzo Vecchio hing. Die gegenüberliegende Wand beschäftigte sich mit Lecters Verbrechen in den Vereinigten Staaten und wurde von einem Polizeifoto beherrscht, das den Bogenjäger zeigte, den Lecter vor Jahren getötet hatte. Der Körper hing an einer Aufhängeplatte und trug alle Wunden, die auf Illustrationen des mittelalterlichen Wundenmanns zu sehen sind. Prozeßakten stapelten sich auf den Regalen neben den Zivilsachen der von den Familien der Opfer gegen Lecter angestrengten Klagen wegen rechtswidrig herbeigeführten Todes. Dr. Lecters Handapparat war hier in der gleichen Anordnung wie in seiner alten psychiatrischen Praxis eingestellt. Starling hatte die Polizeifotos seines Büros mit dem Vergrößerungsglas untersucht und das entsprechende Arrangement rekonstruiert. Das meiste Licht in dem halbdunklen Raum ging von einem Röntgenbild von Dr. Lecters Hals und Kopf aus, das, in einen Lichtkasten geklemmt, an der Wand leuchtete. Das übrige Licht kam von einer Workstation auf einem Tisch in der Ecke. Der Bildschirmschoner wartete mit dem Motiv »Gefährliche Kreaturen« auf. Hin und wieder gab der Computer leise surrende Geräusche von sich. Neben der Maschine stapelten sich die Ergebnisse von Starlings Blütenlese. Die mühevoll
zusammengetragenen Fetzen an Papier, die Belege, die genau aufgeschlüsselten Rechnungen, die zeigten, wie Dr. Lecters verborgenes Leben in Italien und zuvor in den Vereinigten Staaten ausgesehen haben mußte, bevor er in die Nervenheilanstalt eingewiesen worden war. Es war ein behelfsmäßiger Katalog seines Geschmacks. Einen Flachbettscanner als Tisch nutzend, hatte Starling ein einzelnes Gedeck aufgelegt, das aus seinem Haus in Baltimore stammte und die Jahre überdauert hatte - chinesisches Porzellan, Silber, Kristallglas, blütenweißes Tischleinen, ein

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