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Hannibal

Hannibal

Titel: Hannibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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gestatten, eigenen Stoff mit an Bord zu nehmen. Ist das Whisky? Erlauben die Ihnen, das hier im Flugzeug zu trinken? Wenn Sie nichts dagegen haben, behalte ich das Bändchen hier.« »Sir, es ist Ihnen nicht gestattet, dieses alkoholische Getränk im Flugzeug zu öffnen«, sagte die Stewardess. »Ich werde es für Sie aufbewahren. Sie erhalten es nach unserer Ankunft am Gate zurück.« »Selbstverständlich. Haben Sie vielen Dank«, sagte Dr. Lecter. Dr. Lecter würde diese Umgebung schon bezwingen. Er würde alles verschwinden lassen. Das Piepsen des Computerspiels, das Schnarchen, die Fürze waren nichts im Vergleich zu dem höllischen Geschrei, das er aus Gefängnistrakten kannte. Der Sitz war nicht enger als die Beschränkungen in der Haft. Wie er es so viele Male in seiner Zelle getan hatte, ließ Dr. Lecter seinen Kopf
zurücksinken, schloß die Augen und zog sich zur Entspannung in die Stille seines Gedächtnispalasts zurück, eines Ortes, der über weite Strecken sehr schön war. Für eine kleine Zeitspanne nimmt der westwärts gegen den Wind anjaulende Metallzylinder einen Palast mit tausendundeinem Zimmer in sich auf. So, wie wir einst Dr. Lecter in den Palazzo Capponi gefolgt sind, werden wir nun mit ihm in den Palast seines Geistes gehen ... Die Vorhalle ist die normannische Kapelle in Palermo, streng, schön und zeitlos. Ein in den Fußboden gemeißelter Totenschädel mahnt uns an unsere Sterblichkeit. Wenn er nicht gerade in sehr großer Eile ist, um Informationen aus dem Palast abzurufen, legt Dr. Lecter hier oft eine Pause ein, so wie jetzt, um die Kapelle zu bewundern. Jenseits davon, fern und komplex, licht und dunkel, liegt die ausgedehnte Anlage, die Dr. Lecter selbst geschaffen hat. Der Gedächtnispalast war ein den antiken Gelehrten wohlbekanntes mnemotechnisches System. Vielerlei Wissen wurde mit Hilfe dieses Systems während finsterer Zeiten bewahrt, als Vandalen Bücher verbrannten. Dr. Lecter bewahrt, verbunden mit Merkzeichen, ein schier unermeßliches Wissen in diesen tausend Räumen auf. Aber anders als seine antiken Vorläufer hat der Palast eine zweite Verwendung für ihn; manchmal lebt er in ihm. Er hat Jahre in dessen exquisiten Sammlungen verbracht, während sein Körper in einen Zellentrakt gebannt war, wo die Schreie die Gitterstäbe wie eine Höllenharfe zum Klingen gebracht haben. Hannibal Lecters Palast ist sogar für mittelalterliche Verhältnisse riesig. Übertragen auf die für uns erfahrbare Welt, käme er an Größe und Komplexität dem TopkapiPalast in Istanbul gleich. Wir schließen zu ihm auf, als er eiligen Schrittes in die große Halle der vier Jahreszeiten eintritt. Der Palast ist gemäß den von Simonides von Ceos gefundenen Regeln erbaut, die vierhundert Jahre später von Cicero so glanzvoll ausgearbeitet wurden; er ist luftig, hat hohe Decken, ist mit Gegenständen und Tableaus ausgestattet, die lebendig, beeindruckend, manchmal schockierend und absurd, aber oft auch sehr schön sind. Die Auslagen sind geräumig und hell erleuchtet wie die eines großen Museums. Aber die Wände sind nicht in den neutralen Farben von Museumswänden gehalten. Wie Giotto hat Dr. Lecter die Wände seines Geistes mit Fresken versehen. Er hat beschlossen, Clarice Starlings Privatadresse zu holen, während er im Palast ist. Aber er hat keine Eile, also bleibt er am Fuß eines großen Treppenhauses vor der Riace-Bronze stehen. Diese berühmten bronzenen Kämpfer, ein Tribut an Phidias, in unserer Zeit vom Meeresboden geholt, bilden das Mittelstück eines mit Fresken geschmückten Ortes, der den gesamten Homer und Sophokles abspulen kann. Dr. Lecter könnte die bronzenen Gesichter Meleager rezitieren lassen, wenn ihm der Sinn danach stünde, aber heute will er sich einfach nur ihrem Anblick hingeben. Tausendundein Raum, Meile um Meile an Gängen, Hunderte von Fakten an jedes Objekt angehängt, und jedes Zimmer birgt Schätze von Objekten. Ein angenehmer Aufenthalt erwartet Dr. Lecter, wann immer er sich dazu entschließt, sich hierher zurückzuziehen. Aber eines teilen wir mit dem Doktor: In den Gewölben unserer Herzen und Hirne lauert die Gefahr. Nicht alle Kammern sind lieblich, lichtdurchflutet und hoch. Es gibt auch Löcher in dem Boden unseres Geistes, wie die in den
mittelalterlichen Kerkerböden - die stinkenden Verliese, benannt nach dem Vergessenen, flaschenähnliche Zellen aus hartem Stein mit Falltüren an der Spitze. Nichts entschlüpft ihnen leise, um uns zu beruhigen. Ein

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