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Hannibal

Hannibal

Titel: Hannibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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Großmutter hatte Gemüse und Blumen verkauft und sich das Geld für die Versicherungsbeiträge vom Mund abgespart. Am Ende war sie in der Lage gewesen, die Police zu beleihen, um Ardelia den Weg durchs College zu ebnen. Es gab auch ein Bild von der zierlichen alten Frau mit den dunklen, altersweisen Augen. Sie unternahm nicht einmal den Versuch zu lächeln, diese Frau mit dem weißen gestärkten Kragen und dem breitkrempigen Strohhut. Ardelia wußte um ihre Wurzeln, bezog daraus tagtäglich ihre Kraft. Starling versuchte sich ihrer Herkunft zu vergewissern. Das Waisenhaus der Lutheraner in Bozeman hatte sie mit Kleidung und Nahrung versorgt. Ihr war dort anständiges Benehmen beigebracht worden. Aber für das, was sie jetzt brauchte, mußte sie ihr eigenes Blut befragen. Was hat man denn schon groß vorzuweisen, wenn man wie du aus weißen ArmeLeute-Verhältnissen stammt? Wenn man in einer Gegend groß geworden ist, die noch in den fünfziger Jahren Sanierungsgebiet war. Wenn man von Leuten abstammt, die auf dem Campus als crackers und rednecks verlacht werden oder von denen herablassend als armen weißen Appalachen die Rede ist. Wenn sogar der sonst nicht gerade sicher auftretende Südstaatenadel, der schwerer körperlicher Arbeit nicht die geringste Wertschätzung entgegenbringt, von deinen Leuten nur als Hinterwäldlern spricht welches Erbe versorgt dich dann mit Vorbildern? Daß wir ihnen das erstemal bei Bull Run eine ordentliche Tracht Prügel verpaßt haben? Daß der Ururgroßvater seine Sache bei Vicksburg gut gemacht hat? Daß eine Ecke von Shiloh auf ewig Yazoo City heißen wird? Es liegt ungleich mehr Ehre darin und ergibt mehr Sinn, daß du aus dem, was dir geblieben ist, den gottverdammten vierzig Morgen Land und dem dreckigen Esel, etwas gemacht hast. Aber das eben mußt du erst einmal begreifen. Das wird dir niemand sagen. Starling hatte die FBI-Ausbildung mit Bravour absolviert, weil es nichts gab, auf das sie hätte zurückgreifen können. Sie war ein Groß teil ihres Lebens gezwungen gewesen, in Institutionen zu überleben, deren Regeln zu akzeptieren und sie konsequent für die eigene Sache zu nutzen. Sie war noch immer irgendwie vorangekommen, hatte ein Stipendium ergattert oder Aufnahme in das Team gefunden. Ihr Scheitern nach einem brillanten Start beim FBI war eine neue, eine zutiefst schreckliche Erfahrung für sie. Immer und immer wieder stieß sie gegen unsichtbare Wände wie ein in eine Flasche eingesperrtes Insekt. Man ließ ihr nur vier Tage für die Trauer um John Brigham, der vor ihren Augen getötet worden war. Vor langer Zeit hatte John Brigham sie einmal etwas gefragt, und sie hatte nein gesagt. Und dann hatte er sie gefragt, ob sie trotzdem Freunde bleiben könnten, und es genauso gemeint, wie er es gesagt hatte, und sie hatte ja gesagt, und es war ihr ernst damit gewesen. Sie mußte sich mit der Tatsache abfinden, daß durch ihre Hand fünf Menschen auf dem Feliciana-Fischmarkt umgekommen waren. Immer wieder stand ihr das Bild des Crips vor Augen, der sich, eingekeilt zwischen zwei Wagen, ans Autodach klammerte und mit ansehen mußte, wie ihm die Waffe entglitt. Einmal besuchte sie dem eigenen Seelenheil zuliebe das Krankenhaus, um nach Eveldas Baby zu sehen. Eveldas Mutter war da und hielt ihren Enkel im Arm. Er sollte gerade entlassen werden. Sie kannte Starling von den Bildern in den Zeitungen. Sie übergab den Kleinen einer Schwester und schlug Starling, bevor diese begriff, was vor sich ging, hart ins Gesicht. Starling erwiderte den Schlag nicht, der sie auf der bandagierten Seite des Kopfes getroffen hatte, sondern drückte die alte Frau im Polizeigriff so lange gegen die Scheibe des Schwesternzimmers, bis diese mit wutverzerrtem Gesicht klein beigab. Das Fenster war beschlagen und mit Speichel verschmiert, als sie sie losließ. Starling rann Blut über den Hals, und der Schmerz machte sie schwindelig. Das Ohr mußte nochmals in der Notaufnahme genäht werden. Sie lehnte es ab, Anzeige zu erstatten. Ein Pfleger dort gab dem Tattler einen Tip und bekam dafür dreihundert Dollar. Sie mußte das Haus noch zweimal verlassen, einmal, um das Begräbnis von John Brigham zu arrangieren, und dann, um ihm auf der nationalen Gedenkstätte Arlington die letzte Ehre zu erweisen. Brigham, dem bis auf wenige entfernte Verwandte niemand nahe stand, hatte in seinem letzten Willen verfügt, daß Starling sich um ihn und seinen Nachlaß kümmern sollte. Der Grad seiner Gesichtsverletzungen

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