Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hannibal

Hannibal

Titel: Hannibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
Vom Netzwerk:
machte einen geschlossenen Sarg erforderlich. Aber Starling hatte trotzdem, so gut sie konnte, auf sein Äußeres geachtet und ihn in seiner makellosen blauen Marineuniform mitsamt seinen Auszeichnungen zur letzten Ruhe betten lassen. Nach den Begräbnisfeierlichkeiten übergab Brighams Anwalt Starling eine Kiste mit dessen persönlichen Dingen. Neben seinen Waffen und seiner Dienstmarke enthielt sie eine Reihe von Gegenständen, die zu seinen Lebzeiten auf seinem notorisch mit Akten überladenen Schreibtisch gestanden hatten, so auch den von Brigham so geliebten kitschigen Wettervogel aus Plastik, der aus einem Glas trank. In fünf Tagen hatte Starling in einer Anhörung, die vielleicht das Aus für ihre Karriere bedeutete, Rede und Antwort zu stehen. Mit Ausnahme einer Nachricht von Jack Crawford war ihr Telefon stumm geblieben, und es gab nun auch keinen John Brigham mehr, mit dem sie über alles hätte sprechen können. Sie rief ihren Rechtsbeistand bei der für das FBI zuständigen
Berufsgenossenschaft an. Der einzige Rat, den sie von ihm zu hören bekam, war, keine auffälligen Ohrringe oder offene Schuhe bei der Anhörung zu tragen. Tag für Tag kochten die Zeitungen und das Fernsehen die Geschichte von Evelda Drumgos Tod in immer neuen Variationen hoch. Hier, in der perfekten Ordnung von Mapps Haus, versuchte Starling, mit sich und ihrer Situation ins reine zu kommen. Das, was dich früher oder später zerstören wird, ist die Versuchung, in den Chor deiner Kritiker mit einzustimmen, um sich deren Wohlwollen zu erkaufen. Ein Geräusch drang an ihr Ohr. Starling versuchte sich genau an ihre eigenen Worte im Lieferwagen zu erinnern. War es mehr als das bloß Notwendige gewesen? Das Geräusch drang noch immer an ihr Ohr. Brigham forderte sie dazu auf, die anderen mit der Vorgeschichte Eveldas vertraut zu machen. Hatte sie so etwas wie Feindseligkeit zum Ausdruck gebracht, irgend etwas. Das Geräusch begann lästig zu werden. Sie hielt inne und begriff, daß die Klingel nebenan schrillte. Wahrscheinlich ein Reporter. Oder die Zustellung der Vorladung. Sie schob den Vorhang des Fensters zur Straße ein wenig beiseite und spähte hinaus. Sie sah, wie sich der Postbote umdrehte, um zu seinem Wagen zurückzugehen. Sie öffnete Mapps Eingangstür und fing ihn ab. Sie drehte sich mit dem Rücken zum auf der anderen Straßenseite parkenden Fahrzeug der Presse. Belauert von einem Teleobjektiv, unterschrieb sie die
Empfangsbestätigung und erhielt einen edlen, mit Seidenpapier gefütterten malvenfarbenen Umschlag ausgehändigt. Obwohl sie durch die Ereignisse der letzten Tage unkonzentriert und psychisch angeschlagen war, erinnerte sie der Umschlag dunkel an etwas. Wieder im Haus, den neugierigen Blicken entzogen, schaute sie auf die Adresse. Eine feingeschwungene, gestochen scharfe Handschrift. Trotz des grauenhaften Dröhnens in Starlings Schädel schlug etwas Alarm in ihr. Sie fühlte, wie ihre Bauchdecke zu zittern anfing, so als ob sie von etwas Kaltem berührt worden wäre. Starling nahm den Umschlag an den Ecken und trug ihn in die Küche. Dort entnahm sie ihrer Handtasche ein paar weiße Handschuhe zum Sicherstellen von Beweismitteln. Sie preßte den Umschlag auf die harte Oberfläche des Küchentisches und befühlte ihn sorgfältig. Obwohl das Papier steifer war als bei gewöhnlichen Umschlägen, hatte sie die durch eine Uhrenbatterie verursachte Verdickung gefühlt, derer ein C-4-Blatt zur Explosion bedurfte. Sie wußte, der Umschlag gehörte eigentlich vor ein Fluoroskop. Wenn sie ihn einfach so öffnete, würde sie möglicherweise
Schwierigkeiten bekommen. Schwierigkeiten? Richtig. Krampf! Sie schlitzte den Umschlag mit einem Küchenmesser auf und entnahm ihm ein einzelnes, seidenmatt schimmerndes Blatt. Sie wußte, noch ehe sie einen Blick auf die Unterschrift geworfen hatte, von wem der Brief war.
    Meine liebe Clarice,
mit Aufmerksamkeit und Interesse habe ich Ihr In -Ungnade-Fallen und die erniedrigende Diskussion um Ihre Person in der Öffentlichkeit mitverfolgt. Die um meine Person hat mich nie sonderlich beeindruckt, sieht man von den Unannehmlichkeiten ab, die eine Inhaftierung so mit sich bringt. Aber Ihnen dürfte für dererlei der Blick fehlen. Bei unseren Diskussionen im Kerker drängte sich mir der Eindruck auf, daß Ihr Vater, der tote Nachtwächter, eine besondere Stellung in Ihrem Wertesystem einnimmt. Ich denke, die Beendigung von ]ame Gumbs Karriere als Couturier hat Sie deswegen mit so

Weitere Kostenlose Bücher