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Hannibal

Hannibal

Titel: Hannibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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Mundwinkel verzogen sich nach unten. Sie nahm den Schädel ihres Vaters und setzte sich auf das andere Bett. Tränen schössen ihr in die Augen und liefen ihr die Wangen herunter. Wie ein Kleinkind griff sie sich den Zipfel ihres Pullovers, hielt ihn an die Wange und schluchzte. Bittere Tränen fielen mit einem hohlen Tap Tap auf die Stirn des in ihrem Schoß ruhenden Schädels. Die Zahnkrone schimmerte. »Ich liebe meinen Daddy, er war so gut zu mir. Er wußte es einfach nicht besser. Es war die schönste Zeit meines Lebens.« Und es war nicht weniger wahr als die Wut, der sie zuvor freien Lauf gelassen hatte. Als Dr. Lecter ihr ein Papiertaschentuch hinhielt, nahm sie es mit der geballten Faust und wischte sich die Tränen ab. »Clarice, ich werde Sie jetzt allein lassen mit den sterblichen Überresten. Überreste, Clarice. Schreien Sie Ihre Not in seine Augenlöcher, es wird keine Antwort kommen.« Er legte seine Hände auf ihre Schläfen. »Was Sie von Ihrem Vater brauchen, ist hier, ist in Ihrem Kopf und allein Ihrem und nicht seinem Urteil überlassen. Ich werde Sie jetzt allein lassen. Wollen Sie die Kerzen?« »Ja, bitte.« »Wenn Sie aus dem Zimmer kommen, bringen Sie nur das mit, was Sie wirklich brauchen.« Er wartete im Salon vor dem Kamin. Er vertrieb sich die Zeit damit, sein Theremin zu spielen, bewegte seine leeren Hände durch das elektrische Feld, um die Musik erklingen zu lassen, bewegte seine Hände, die er auf Starlings Schläfen gelegt hatte, als dirigierte er dort wie jetzt die Musik. Schon einige Zeit, bevor er das Stück beendet hatte, spürte er, daß Starling hinter ihm stand. Als er sich nach ihr umdrehte, lächelte sie sanft und traurig. Ihre Hände waren leer. Dr. Lecter suchte stets nach Mustern. Er wußte, daß Starling, wie jedes fühlende Wesen, aus ihrer frühen Erfahrung Matrizen, Systeme, schuf, durch die ihre spätere Vorstellungswelt zu verstehen war. Als er vor so vielen Jahren durch die Gitterstäbe der Zelle mit ihr gesprochen hatte, hatte er eine für Starling wichtige Matrix gefunden, das Schlachten der Pferde und Lämmer auf der Ranch ihrer Pflegeeltern. Sie war durch die Not der Tiere geprägt. Ihre ebenso obsessive wie erfolgreiche Jagd auf Jame Gumb war getrieben von der Not seiner Opfer. Sie hatte ihn selbst aus genau diesem Grund vor der Folter bewahrt. Schön. Typisiertes Verhalten. Da Dr. Lecter immer nach situativen Mustern suchte, glaubte er, daß Starling in John Brigham die guten Eigenschaften ihres Vaters erkannte - und zusammen mit den Tugenden ihres Vaters wurde dem unglückseligen Brigham auch das Inzesttabu auferlegt. Brigham, und wahrscheinlich auch Crawford, standen für die guten Eigenschaften ihres Vaters. Wer stand für dessen schlechte? Dr. Lecter suchte nach den restlichen Teilen dieser zersprungenen Matrix. Unter Verwendung von Hypnotika und hypnotischer Techniken, die er, stark modifiziert, der klassischen Analyse entlehnt hatte, entdeckte er harte und widerspenstige Knoten in Starlings Persönlichkeit - wie Astknorren im Holz - und die wie Harz noch immer leicht entzündlichen, alten Ressentiments. Er stieß auf Tableaus von erbarmungsloser Helligkeit, Jahre alt, aber gut gepflegt und genau beschreibbar, die wie Blitze aus einer Gewitterwolke limbische Wut durch Starlings Gehirn zucken ließen. Die meisten von ihnen betrafen Paul Krendler. Ihr Groll über die sehr realen Ungerechtigkeiten, die sie durch Krendlers Hand hatte erleiden müssen, waren mit der Wut über ihren Vater aufgeladen, die sie niemals, unter gar keinen Umständen zugeben konnte. Sie konnte ihm nicht verzeihen, daß er gestorben war. Er hatte die Familie verlassen, hatte aufgehört, in der Küche Orangen zu schälen. Er hatte ihre Mutter zu einem Leben mit Staubtuch und Eimer verdammt. Er hatte aufgehört, Starling zu umarmen mit seinem großen Herzen, das wie Hannahs Herz schlug, als sie zusammen in die Nacht hinausritten. Krendler war das Sinnbild des Scheiterns und der Frustration. Ihm konnte sie die Schuld zuschreiben. Konnte sie ihm aber auch die Stirn bieten? Oder war Krendler dazu fähig, wie jede andere Autorität und jedes andere Tabu auch, Starling in das einzusperren, was in Lecters Augen ihre enge, beschränkte Welt war? Ein Zeichen schien ihm Hoffnung zu machen: Obwohl sie durch die Polizeimarke geprägt worden war, konnte sie noch immer ein Loch durch eine schießen und den Träger töten. Warum? Weil sie sich der Tat anvertraute, den Träger als Kriminellen

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