Hannibal
halber benutzte er den gleichen Satz Batterien, den er zuvor bei der Autopsiesäge benutzt hatte. Die Haut der Wachteln war knusprig, und sie waren mit Gänseleber gefüllt. Dr. Lecter sprach über Henry VIII. als Komponisten, und Starling erzählte ihm etwas über den Einsatz von Computer-aided Design bei Motorengeräuschen und der Nachbildung von angenehmen Frequenzen. Das Dessert würde im Salon gereicht, kündigte Dr. Lecter an.
KAPITEL 101
Ein Souffle und Gläser mit Chateau d’Yquem vor dem Kamin im Salon, Kaffee stand auf einem Beistelltischchen neben Starlings Ellbogen bereit. Der Feuerschein tanzte in dem goldenen Wein, sein Bouquet schwebte über dem würzigen Geruch der Holzscheite. Sie sprachen über Teetassen und Zeit und die Herrschaft der Unordnung. »Und so kam ich dazu, daran zu glauben«, sagte Dr. Lecter gerade, »daß es in der Welt einen Ort für Mischa geben muß, daß ein zentraler Ort für sie frei gemacht werden muß, und bin zu der Überzeugung gekommen, Clarice, daß der beste Ort der Welt Ihr Platz ist.« Der Feuerschein brachte die Tiefen ihres Oberteils nicht ganz so überzeugend zur Geltung, wie es das Kerzenlicht zuvor getan hatte, aber er umspielte wunderbar ihre Wangenknochen. Sie dachte einen Augenblick lang nach. »Beantworten Sie mir bitte eine Frage, Dr. Lecter. Falls ein zentraler Ort für Mischa notwendig ist, und ich sage nicht, daß er das nicht ist, wie steht es um Ihren Ort? Er ist ein guter Ort, und ich weiß, Sie würden sie nie verleugnen. Mischa und ich könnten wie Schwestern sein. Und wenn, wie Sie sagen, es in mir Raum für meinen Vater gibt, warum gibt es keinen Raum in Ihnen für Mischa?« Dr. Lecter schien entzückt zu sein; ob über die Idee als solche oder über Starlings Wendigkeit, ließ sich unmöglich sagen. Vielleicht fühlte er eine vage Sorge, daß ihm mehr gelungen war, als ihm eigentlich bewußt war. Als sie ihr Glas wieder auf den Tisch neben sich stellte, stieß sie ihre Kaffeetasse herunter, und sie zersprang auf dem Kaminboden. Sie schaute nicht auf sie herunter. Dr. Lecter beobachtete die Scherben. Sie lagen ruhig da. »Ich glaube nicht, daß Sie gezwungen sind, sich in dieser Minute zu entscheiden«, sagte Starling. Ihre Augen und die Cabochons glänzten im Feuerschein des Kamins. Ein Seufzer des Feuers, die Wärme des Feuers auf ihrem Abendkleid, eine flüchtige Erinnerung streifte Starling - Dr. Lecter, vor langer Zeit, wie er Senatorin Martin fragte, ob sie ihrer Tochter die Brust gegeben hatte. Eine juwelenglänzende Bewegung überformte Starlings unnatürliche Ruhe: Für einen Augenblick justierten sich viele Fenster ihres Geistes, und sie sah weit über die eigene Erfahrung hinaus. Sie fragte: »Hannibal Lecter, hat Ihnen Ihre Mutter die Brust gegeben?« »Ja.« »Haben Sie jemals das Gefühl gehabt, daß Sie die Brust Ihrer Schwester überlassen mußten?« Einen Herzschlag lang hatte er ihr nichts entgegenzusetzen, dann: »Ich erinnere mich nicht, Starling. Falls ich sie aufgeben mußte, habe ich es gern getan.« Clarice Starling griff mit der hohlen Hand in den tiefen Ausschnitt ihres Abendkleids und legte ihre Brust frei. Die Brustwarze richtete sich auf. »Diese hier brauchen Sie nicht aufzugeben«, sagte sie und blickte ihm tief in die Augen. Mit ihrem Abzugsfinger nahm sie etwas warmen Chateau d’Yquem aus ihrem Mund, und dann hing ein süßer, dicker Tropfen von ihrer Brustwarze wie ein goldener Cabochon. Er zitterte leicht, als sie atmete. Dr. Lecter stand rasch aus seinem Sessel auf, kniete vor dem ihren nieder und beugte im Feuerschein des Kamins seinen dunklen, gepflegten Kopf über ihre rosa Knospe und den cremefarbenen Vorhof.
KAPITEL 102
Buenos Aires, Argentinien, drei Jahre später. Barney und Lillian Hersh gingen am frühen Abend in der Nähe des Obelisken auf der Avenida 9 de Julio spazieren. Ms. Hersh war Lehrbeauftragte an der Londoner Universität und hatte ein Ferienjahr. Sie und Barney trafen sich im anthropologischen Museum in Mexico City. Sie mochten sich auf Anhieb und reisten seit zwei Wochen zusammen, probierten es auf Tagesbasis miteinander. Es entwickelte sich mehr und mehr zu ihrer beider Vergnügen. Sie wurden einander nicht überdrüssig. Sie waren am Nachmittag in Buenos Aires angekommen, zu spät, um noch ins Museo National gehen zu können, wo ein Vermeer als Leihgabe hing. Barneys Mission, jeden Vermeer dieser Welt sehen zu müssen, amüsierte Lillian Hersh und kam dem Spaß, den sie miteinander
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