Hannibal
besser, wenn das Licht über mir mich nicht mehr blendet, und ging, eine Hand ausgestreckt, dem Geruch von Balsam und Tannengrün folgend, in die Dunkelheit hinein. Sie war dem Bett näher, als sie gedacht hatte, als er das Licht anschaltete. Starling vorzog keine Miene. Nur die Hand, in der sie das Mikrofon hielt, zuckte kaum merklich zurück. Der erste Gedanke, der ihr kam, war vollkommen losgelöst von dem Gefühl, das ihr in die Magengrube gefahren war; sie nahm war, das seine
Sprachanomalien auf das vollständige Fehlen von Lippen zurückging. Ihr zweiter Gedanke galt der Tatsache, daß er nicht blind war. Das eine ihm verbliebene lidlose blaue Auge schaute sie durch eine Art Monokel mit einem röhrenähnlichen Aufsatz an, durch das es feucht gehalten wurde. Bei dem Rest hatten sich Chirurgen vor Jahren schon alle erdenkliche Mühe gegeben, die Wirkung des grausamen Anblicks durch Hauttransplantationen zu mildern. Mason Verger, ohne Lippen, ohne Nase und ohne weiches Muskelgewebe, schien nur aus Zähnen zu bestehen, wie eine Kreatur aus den tiefsten Tiefen des Ozeans. Wir sind an Masken gewöhnt, deshalb tritt der Schock, den sein Anblick auslöst, mit Verzögerung ins Bewußtsein. Er kommt mit der Erkenntnis, daß dies ein menschliches Antlitz ist, mit einem Verstand dahinter. Es erschrickt einen mit seinen Bewegungen, mit dem Öffnen und Schließen des Kiefers, der Drehung des Auges, wenn es dich anblickt. Und dein normales Gesicht sieht. Mason Vergers Haar ist schön und seltsamerweise genau das an ihm, was am schwersten zu ertragen ist. Von Natur aus schwarz, von grauen Strähnen durchzogen, ist es zu einem Pferdeschwanz geflochten und reicht bis auf den Boden hinunter, würde man es über das Kissen hängen lassen. Heute liegt es eingerollt auf seiner Brust oberhalb des schildpattfarbenen Gehäuses des Beatmungsgerätes. Menschliches Haar unter einem entstellten blauen Auge. Das Geflecht scheint wie die Schuppen eines Fisches zu leuchten. Unter der Decke verlor sich auf dem erhöhten Krankenhausbett Mason Vergers seit langem schon zur Bewegungslosigkeit verurteilter Körper scheinbar im Nichts. Vor seinem Gesicht hing eine Vorrichtung aus
durchsichtigem Plastik, die entfernt an eine Panflöte erinnerte. Mason wölbte seine Zunge um das Ende eines Röhrchens und blies mit dem nächsten Schub des Sauerstoffgeräts hinein, woraufhin unter seinem Bett ein leises Surren einsetzte und sich das Kopfteil langsam anhob, bis er Starling direkt ins Gesicht sehen konnte. »Ich danke Gott für das, was mir widerfahren ist«, sagte Verger. »Es war die Erlösung für mich. Haben Sie sich der Gnade Jesu überantwortet, Miss Starling? Glauben Sie an Gott?« »Ich bin streng religiös erzogen worden, Mr. Verger. Ich bin mit allem gesegnet, was damit verbunden ist«, sagte Starling. »Wenn Sie nichts dagegen haben, befestige ich diese Klammer hier an Ihrem Kopfkissenbezug. Dort wird Sie das Mikrofon hoffentlich nicht stören.« Ihre Stimme klang für ihre Verhältnisse ein wenig zu munter und geschäftig. Ihre Hand neben seinem Kopf, ihr beider Fleisch nebeneinander, half Starling ebensowenig wie das Pulsieren der Adern unter der Haut, die man über seine Schädelknochen gezogen hatte. Die regelmäßigen Bewegungen der Adern erinnerten sie an Würmer, die gierig etwas in sich hineinschlangen. Dankbar entrollte sie das Mikrokabel und trat wieder an den Tisch mit dem Aufnahmegerät und dem für sie bestimmten Mikrofon zurück. »Special Agent Clarice M. Starling, FBI, Dienstnummer 5143690. Mason R. Verger, Sozialversicherungsnummer 475989823, möchte bei sich zu Hause an dem oben genannten und bezeugten Datum eine eidesstattliche Erklärung abgeben. Mr. Verger wurde davon in Kenntnis gesetzt, daß er Immunität vor der Strafverfolgung genießt. Eingeräumt und bezeugt durch den US-Staatsanwalt des Distrikts 36 und die örtlichen Behörden und als Anlage dieser Erklärung beigefügt. Nun, Mr. Verger -« »Ich möchte Ihnen etwas über das Lager erzählen«, unterbrach er sie mit dem nächsten ihm möglichen Atemzug. »Es war eine wunderbare Kindheitserfahrung, zu der ich zurückgefunden habe, wenn nun so will.« »Dazu können wir später noch kommen, Mr. Verger. Ich habe gedacht, wir sollten -« »Oh, wir können auch jetzt darüber sprechen, Miss Starling. Früher oder später würde es ohnedies zur Sprache kommen, wo mir dort doch mein Schöpfer begegnet ist. Und was könnte ich Ihnen Wichtigeres erzählen als das?« Er
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