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Hannibal

Hannibal

Titel: Hannibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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sichergestellt. Es war eine Winchester-Western Randfeuer Kaliber 22 mit Auswurfspuren, die auf eine
Semiautomatik hindeuteten, möglicherweise eine Woodsman. Die Kugeln bei sämtlichen Verbrechen entstammten alle ein und derselben Waffe. Sie trugen keine Spuren, die auf den Gebrauch eines Schalldämpfers hinwiesen. Trotzdem konnte der Einsatz eines Schalldämpfers nicht ausgeschlossen werden. Pazzi war ein lupenreiner Pazzi und über die Maßen ehrgeizig, und er hatte eine junge, zauberhafte Frau mit einem stets weit aufgerissenen Schnabel an seiner Seite. Die kräftezehrende Lebensweise kostete ihn, einer ohnehin schmalen Erscheinung, zwölf Pfund Gewicht. Die jüngeren Beamten der Questura spotteten, wenn sie unter sich waren, über seine Ähnlichkeit mit der Cartoonfigur Wile E. Coyote. Als einer dieser jungen Neunmalklugen ein Morphprogramm im Rechner der Questura installierte, der die Gesichter der drei Tenöre in einen Esel, ein Schwein und eine Ziege verwandelte, starrte Pazzi minutenlang wie gebannt auf die gemorphten Gesichter und fühlte, wie sich sein eigenes Gesicht in die Mimik des Esels und wieder zurück verwandelte. Am Fenster des Labors der Questura hing Knoblauch, um die bösen Geister zu bannen. Als er den letzten Verdächtigen auf seiner Liste besucht und ohne Erfolg in die Mangel genommen hatte, stand Pazzi an diesem Fenster und schaute auf den staubigen Hinterhof hinaus. Es war zum Verzweifeln. Er dachte an seine Frau und ihre schlanken, harten Fesseln und an den Schönheitsfleck oberhalb ihrer Hüfte auf dem Rücken. Er dachte daran, wie ihre Brüste bebten und hüpften, wenn sie ihre Zähne putzte. Und daran, wie sie lachte, wenn sie spürte, daß er sie dabei beobachtete. Er dachte an all die Dinge, die er ihr schenken wollte, und stellte sich vor, wie sie die Geschenke öffnete. Er dachte stets visuell an seine Frau; sie roch angenehm und fühlte sich gut an, doch es war immer ihr Bild, das ihm zuerst in den Sinn kam. Er überlegte, wie er in ihren Augen erscheinen wollte. Ganz gewiß nicht als Zielscheibe der Presse - das Hauptquartier der Questura in Florenz war in einer ehemaligen Irrenanstalt untergebracht, ein gefundenes Fressen für jeden Karikaturisten. Pazzi malte sich aus, daß sich Erfolg als ein Ergebnis von Inspiration einstellte. Sein Bildgedächtnis war ausgezeichnet, und wie viele, deren primärer Sinn der Gesichtssinn ist, dachte er sich die Lösung des Falles wie die Entwicklung eines Bildes, anfänglich verschwommen, dann klarer werdend. Er grübelte ähnlich, wie die meisten von uns nach einem verlorenen Gegenstand suchen: Wir holen dessen Abbild aus unserem Gedächtnis hervor und vergleichen es mit dem, was wir sehen, wobei wir das Abbild viele Male auffrischen und vor unserem inneren Auge drehen und wenden. Dann nahm ein politisch motivierter Bombenanschlag hinter der Galerie der Uffizien das öffentliche Interesse und Pazzis Aufmerksamkeit in Anspruch und zog ihn für kurze Zeit von dem Fall Il Mostro ab. Selbst als er an der Aufklärung des Bombenanschlags auf das bedeutende Museum arbeitete, behielt er die von Il Mostro geschaffenen Bilder im Hinterkopf. Er sah die Tableaus des Ungeheuers im Winkel seines geistigen Auges, so wie wir im Dunkeln bewußt neben einen Gegenstand blicken, um ihn zu erkennen. Ganz besonders dachte er über den Anblick eines Paares nach, das man auf der Rückbank eines Pick-up in Impruneta ermordet aufgefunden hatte. Il Mostro hatte die Körper geradezu liebevoll inszeniert, hatte sie mit Blumen bestreut und geschmückt und der Frau die linke Brust entblößt. Pazzi hatte die Uffizien an einem frühen Nachmittag verlassen und überquerte gerade die nahegelegene Piazza Signoria, als ihn ein Motiv aus einem Postkartenautomat ansprang. Nicht ganz sicher, woher das Bild kam, blieb er genau an der Stelle, wo man Savonarola verbrannt hatte, wie angewurzelt stehen. Er machte kehrt und schaute sich um. Touristen drängten sich auf dem Platz. Pazzi fühlte, wie es ihn eiskalt überlief. Vielleicht war es nur seine Einbildung, dieses Bild, das seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Er ging den Weg zurück, den er gekommen war, und machte neuerlich kehrt. Langsam ging er vorwärts. Da war es: ein kleines, mit Fliegenschiß bedecktes, vom Regen gewelltes Poster von Botticellis Gemälde »Primavera«. Das Original hing hinter ihm in den Uffizien. »Primavera«. Die bekränzte Nymphe am rechten Bildrand, ihre linke Brust entblößt, Blumen strömen aus ihrem

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